Yoshimotos Werke sind bekannt dafür, dass sie die Grenzen der Realität überschreiten. So kann es schon einmal passieren, dass sich Geschwister des Nachts im Traum treffen, Geister auftauchen oder dass eine tote Freundin anruft. Dieser Roman geht über die bisherigen Grenzen hinaus: Das Okkulte gewinnt Macht über die Wirklichkeit.
Ihre Nacht scheint dabei zunächst nur eine Neuauflage der sowieso schon bekannten Themen von Yoshimoto zu sein. Eine junge Frau, Yumiko, die orientierungslos vor sich hin lebt, hat eine schwere Last mit sich zu tragen: Bei einer Séance erstach ihre Mutter ihren Vater und brachte sich dann selbst um.
Aus ihrem schwarzen Loch heraus soll ihr ihr Cousin Shô helfen, der eines Tages unvermittelt auftaucht. Die beiden hatten jahrelang keinen Kontakt, aber in ihrer Kindheit waren sie eng miteinander verbunden, denn ihre Mütter waren Zwillingsschwestern. Um das Vergangene zu verarbeiten, besuchen Yumiko und Shô Orte aus ihrer Kindheit und führen endlose Dialoge. Fast scheint der Roman nur aus Dialogen zu bestehen, ein einziges Zwiegespräch der beiden zu sein.
Sehr enttäuscht von diesem neuen Werk, das scheinbar wieder nur Altbekanntes aufzuwärmen schien, war ich schon fast daran, das Buch bei Seite zu legen.
Aber man täte dem Roman damit absolut Unrecht, denn Yoshimoto hält noch eine große Überraschung bereit. Diese Überraschung erklärt die vielen Ungereimtheiten, die während der Geschichte auftauchen und sie zunächst etwas unausgegoren erscheinen lassen. Diese Überraschung rückt den gesamten Roman in ein anderes Licht und macht schließlich deutlich, dass es sich hier um keinen Heilungsprozess mehr handelt, sondern bestimmte Möglichkeiten unwiederbringlich verlorengegangen sind.
Yoshimoto-Fans werden also mit diesem Roman nicht enttäuscht werden. Einzig Schwierigkeiten bereiten könnte die Weltsicht in diesem Roman, die doch stark vom Okkulten, vom Glauben an Magie und Hexenkraft geprägt ist. Wer Romane mit wirklichkeitsnahen Lösungen bevorzugt, dem würde ich ein wirklichkeitsverhafteteres Buch wie Kitchen empfehlen.
Fazit
Mit Ihre Nacht erwartet uns erneut ein verzauberter Roman voller Momente der Ruhe, der tiefen Einsicht und der Trauer.Verfasst am 4. April 2012 von Friederike Krempin
Tags: Aberglaube, Mythen & Märchen, Banana Yoshimoto, Geister, Hexen, Okkultismus, Umgang mit dem Tod, Versöhnung