Es ist kaum zu glauben, dass es in einer fast vollkommen zerstörten Stadt, zu einer Zeit, in der reihenweise Menschen an Hunger und Krankheiten sterben, Ermittler gibt, die Mordfälle aufklären. Aber Inspektor Minami ist in diesem Chaos einem Serienmörder auf der Spur – und kämpft dabei mit seiner eigenen dunklen Vergangenheit.
Tokio ist zerstört. Die Menschen hungern und fahren zu Hamsterkäufen aufs Land. Viele Frauen prostituieren sich für eine warme Mahlzeit. Doch dieses äußerliche Chaos ist nichts gegen die wirren Gedanken, die in Inspektor Minamis Kopf toben und ihm die Ermittlungen erschweren.
Minami selbst ist vom Krieg schwer traumatisiert. Die Frauenleichen wühlen dieses Trauma wieder auf, seine Erlebnisse aus Kriegstagen vermischen sich mit der Realität, seine Identität scheint zu verschwimmen, er wird vom Ermittler zum Täter.
Tokio im Jahr null ist kein gewöhnlicher Thriller. Inspektor Minami ist genauso Jäger wie selbst gejagter. Seine Psychosen spiegeln sich im Text wieder: Der ist unglaublich anstrengend zu lesen, denn immer wieder reihen sich Sätze stakkattohaft, wie Maschinengewehrsalven, aneinander, drehen sich im Kreis, endlos, immer wieder, dieselben Phrasen, dieselben Lieder, dieselben Lautmalereien.
Der Hauptakzent des Buches liegt also gar nicht unbedingt auf der Ermittlung an sich, sondern viel mehr auf Minamis psychotischem Inneren und seinem Leiden am Krieg. Minami ist kein Held, sondern ein gebrochener Mann. Er ist kein souveräner Ermittler und gerade deshalb ist mir der Roman, auch wenn ich Thriller und Krimis eher selten lese, sehr sympathisch.
Noch ein kleines Sahnehäubchen zum Schluss, was die Gestaltung des Romans angeht: Gleich zu Beginn fällt der seltsam klein gedruckte, nur schwer lesbare Text auf der ersten Seite auf. Diese durch ihr Schriftbild abgesetzten Passagen finden sich immer wieder vereinzelt im gesamten Buch wieder. Wenn man sie zusammenfügt, ergeben sie das, was Inspektor Minamis Geschichte vollkommen außen vorlässt: die belastenden Kriegserlebnisse. Die Wahrheit ist anstrengend, und so ist auch das Lesen dieser kleinen Textpassagen und ihr Zusammenbasteln anstrengend – eine optisch sehr gelungene Umsetzung!
Fazit
Schon allein der Schreibstil geht an die Nerven. Dieser Roman ist nicht nur eine einfache Mordgeschichte, sondern das Psychogramm eines vom Krieg zerstörten Menschen.Verfasst am 10. Februar 2011 von Friederike Krempin
Tags: Nachkriegszeit