Der Hauptakteur des Romans ist ein vollkommen durchschnittlicher Typ – so durchschnittlich, dass er noch nichtmal einen Namen hat. Doch sein langweiliges, routiniertes Leben wird unterbrochen durch einen geheimnisvollen Brief von einem alten Freund, der seit vielen Jahren verschollen war.
Der Hauptakteur, zugleich der Erzähler, hat gemeinsam mit seinem Freund eine kleine Werbeagentur. Er ist Ende zwanzig, seine Ehe ist gerade gescheitert, er hört gern Rockmusik, raucht und trinkt.
Vielleicht ist das unspektakuläre, durchschnittliche Leben des Erzählers ja auch der Grund dafür, dass Murakami weder dem Erzähler noch einer anderen Figur im Roman – mit Ausnahme eines Katers – Namen gegeben hat. So wirken eigentlich alle Figuren austauschbar.
Erst der Brief bringt richtig Schwung in sein unspektakuläres Leben. In dem Brief bittet der Freund den Erzähler darum, ein Foto mit Schafen auf einer Weide überall dort zu veröffentlichen, wo es ihm möglich ist. Der Erzähler nutzt das Foto, das ihm sehr durchschnittlich erscheint, kurzerhand für seine Werbeagentur und platziert es in einem PR-Magazin für eine Versicherung. Kurz darauf taucht ein bedrohlich wirkender, schwarz gekleideter Mann auf, der dem Erzähler klar macht, dass das PR-Magazin aufgrund des Fotos nicht erscheinen kann. Das unscheinbare Foto birgt nämlich ein Geheimnis: es zeigt ein Schaf, dass es so, wie es auf dem Foto existiert, in der Wirklichkeit gar nicht geben dürfte.
Der schwarze Mann setzt dem Erzähler die Frist von einem Monat, um dieses besondere Schaf zu finden und das Geheimnis aufzudecken. Der Erzähler kündigt seinen Job und begibt sich auf die „Schafsjagd“, die ihn auf die Spur seines verschwundenen Freundes und in die Einsamkeit der Berge Hokkaidos bringt – je näher er dem Schaf kommt, desto weiter scheint er sich von der Wirklichkeit zu entfernen.
Wilde Schafsjagd ist Murakamis dritter Roman (in Deutschland wurden Murakamis erste beiden Romane bisher leider nicht veröffentlicht) und kann so zu seinem Frühwerk gezählt werden. Schon in diesem frühen Roman treten Elemente auf, die sich bei Murakami immer wieder finden: ein Hauptdarsteller, der Musik und Literatur liebt und eine Welt, die auf den ersten Blick alltäglich und normal erscheint, wenn man aber genauer hinsieht viele surreale Elemente und seltsame Charaktere beinhaltet.
Die Handlung beginnt recht belanglos: der Erzähler berichtet von einer früheren Freundin, auf dessen Begräbnis er war. Subtil und durch Rückblenden, die die aktuelle Situation des Erzählers und wie er zu dem Schafsbild gekommen ist, erklären, führt Murakami den Leser aber schnell in die Handlung ein. Von dem Zeitpunkt an, als sich der Erzähler auf die „Schafsjagd“ begibt, verläuft die Handlung chronologisch, wird aber nie langweilig, da es immer neue Überraschungen, Charaktere und Enträtselungen gibt. Spätestens als der Erzähler in das heruntergekommene Hotel Delfin eincheckt, inder der verschrobene Schafsprofessor wohnt, möchte man das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Wie immer können sich die Geister an der Beurteilung des Romans aber scheiden: für alle, die Murakamis surreale Elemente nicht mögen, etwa die Vorstellung, dass ein Schaf in den Körper eines Menschen schlüpft, ist das Ende unverständlich und enttäuschend.
Wer diese Elemente liebt, für den ist Wilde Schafsjagd aber spannender Roman, der auch durch seinen Umfang von 320 Seiten im Gegensatz zu den eher längeren Romanen Kafka am Strand (640 Seiten) oder Mister Aufziehvogel (768 Seiten) guter Lesestoff für zwischendurch ist.
Rat Triology
Wilde Schafsjagd ist Teil der Rat Triology. Der erste Teil (Hear the wind sing) wurde bisher in Deutschland nicht veröffentlicht und ist auch auf Englisch nur noch schwer zu bekommen. Zweiter Teil Pinball 1973. Wilde Schafsjagd bildet den dritten Teil. Zwar zählt Tanz mit dem Schafsmann nicht mehr zur Trilogie, schließt aber inhaltlich an Wilde Schafsjagd an.
Fazit
Ein Roman der - sofern man sich auf Murakamis surreale, fantastische, aber auch etwas verwirrende Welt einlässt - einen in den Bann ziehen wird.Verfasst am 15. September 2009 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 22. August 2019