Kann man sich durch die japanische Sprache eine japanische Identität zulegen, auch wenn man nicht als Japan geboren wurde? Der 17-jährige Amerikaner Ben wagt den mühsamen Versuch, sich in Japan zu integrieren.
Es ist manchmal leichter, auf Englisch zu reden als auf Japanisch. Auch wenn Ben gerne Japanisch reden möchte, er kommt einfach nicht dazu. An seiner Universität, wo er einen Japanischkurs besucht, testen die anderen Studenten an ihm ihr perfektes Oxford-Englisch. Auch außerhalb kommt kein richtiges Gespräch in Gang. „Sie sprechen aber gut Japanisch!“ ist das einzige, was Ben zu hören bekommt.
Doch Ben hat einen unermüdlichen Willen, die Sprache zu lernen und zu einem echten Japaner zu werden. Seine Motivation dafür liegt vor allem in seiner eigenen Heimatlosigkeit. Als Sohn des amerikanischen Konsuls in Japan ist er es seit Kindesbeinen an gewöhnt, immer wieder in einem anderen Land Ostasiens zu leben. Hinzu kommt schließlich noch die Scheidung seiner Eltern. Ben wird nun auch noch zwischen seiner katholischen Mutter in den USA und seinem jüdischen Vater, der inzwischen eine Chinesin geheiratet und ein weiteren Sohn hat, hin- und hergereicht.
Ben läuft aus der Botschaft weg und landet in Shinjuku, einem Ort, der ihn von Anfang an fasziniert:
Shinjuku ist für Ben ein Ort mit Symbolkraft, um den sich von nun an seine Welt dreht. Leider erfahren wir aber nicht allzuviel über diesen Ort. Außer einem kleinen Rundgang, einem Café und schließlich einer Art Hostessen-Bar wirkt Shinjuku deutlich ruhiger als in mancher Vorstellung. Vielleicht liegt dies auch daran, dass Bens Geschichte 1967 spielt. In über 40 Jahren hat sich hier im Tôkyô, das sowieso immer in Bewegung ist, sicher viel verändert.
Es ist spannend, Ben auf seiner Identitätssuche zu begleiten. Auch wenn Ben mit seiner speziellen Biografie nicht unbedingt eine Identifikationsfigur bietet, macht er doch ähnliche Erlebnisse wie viele andere, die zum Japanischlernen nach Tôkyô kommen. Shinjuku Paradise ist deshalb auch eine ideale Leseempfehlung als Reisevorbereitung.
Leider bleiben Bens Erlebnisse, die in drei einzelnen Geschichten erzählt werden, fragmentarisch. Ob seine Integration erfolgreich ist, ob er den Weg zurück zu seinem Vater findet oder welche Identität er für sich schließlich einnimmt, bleibt offen.
Zu erwähnen ist zum Schluss auch noch die besondere Situation des Autors, der, selbst Amerikaner, viele Jahre in Japan lebte und inzwischen in Amerika japanische Literatur lehrt. Hideo Levy schreibt seine Essays und Romane, von denen Shinjuku Paradise sein Erstlingswerk ist, alle auf Japanisch. Was Ben im kleinen im Roman versucht, schafft auch Levy selbst damit: Er hat sich die japanische Sprache so intensiv angeeignet, dass er sie als Literatursprache verwenden kann – eine Fähigkeit, die oft nur Japanisch-Muttersprachlern zugestanden wird.
Fazit
Dieser Roman trifft genau den Nerv von Japanischlernenden - solchen, die schon in Japan waren, aber auch solchen, die sich bald nach Tôkyô aufmachen.Verfasst am 24. September 2012 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 6. Mai 2019