Es gibt genug Bücher, die das Großstadtleben in Tokyo beschreiben. Nur wenige schaffen es aber dabei, mit so wenig menschlichem Inventar auszukommen wie Trauminsel.
Tokyo ist spannend, reizvoll, überladend, fremdartig exotisch – ein Ort, um sich im Trubel zu verlieren und ganz neu wiederzuentdecken. Tokyo ist auch ein Ort der Verbrechen, Nachtclubs und der Yakuza. Tokyo ist aber auch eine Betonwüste. Und obwohl es in dieser Metropole von Menschen nur so wimmelt, kommt der Autor Hino in seinen Beschreibungen fast ohne sie aus. Die Wolkenkrater erwachen zum Leben, wenn sich das Licht in ihren Glasfronten bricht. Die scheinbar leblosen Gebäude verändern sich mit der Tageszeit und dem Wetter.
Shozo Sakai, ein verwitweter Mann in den 50ern, liebt es, Tokyos Architektur zu betrachten. Aus seiner Perspektive betrachten wir Tokyo, insbesondere die Tokyoter Buch und die neuen Inseln, die dort zur Stadtvergrößerung aufgeschüttet werden.
„Das Neuland lockt mich einfach an. Irgendwie kommen da Erinnerungen an meine Kindheit hoch, an die Brandruinen. Es ist mir einfach vertraut, als kehrte ich in meine Heimat zurück.“ (52)
Bezeichnenderweise ist Shozo selbst Angestellter in einer Baufirma. Als Kind hat er erlebt, wie Tokyo in Flammen stand, der Wiederaufbau war sein Lebenswerk. Doch je mehr sich Shozo mit seiner Stadt beschäftigt und sie bewundert, desto mehr scheint sie ihm zu entgleiten.
„Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, die Gebäude aus Stahl und Beton hätten inzwischen begonnen, sich willkürlich zu vermehren. Was haben wir gemacht? Haben wir eine Stadt gebaut oder eine unbekannte Kraft geweckt und losgelassen? (24)
Die Schönheit der Wolkenkratzer und Bürotürme tritt zurück hinter ein Gefühl der Machtlosigkeit – und vor allem Entfremdung. Shozo flüchtet sich auf eine Insel, die in ihrer Natürlichkeit und Wildheit den absoluten Gegenpol zur Betonwüste darstellt.
Hinos Roman ist eine Hommage an die moderne Großstadt, eine tiefgehende Erkundung des Wesens Tokyos, insbesondere der Tokyoter Bucht. Die Ruhe, mit der Shozo durch das seltsam ruhige und entseelte Tokyo schreitet, hält aber nur kurzzeitig. Schnell wird aus den Streifzügen durch die Zivilisation auch eine Kritik an ihr und der Versuch, zurück zur Natur zu kommen.
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Fazit
Tokyo aus einer anderen Perspektive - auch empfehlenswert als die etwas andere Reiselektüre!Verfasst am 18. April 2013 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 6. Mai 2019