In einem Bergdorf, tief in den Wäldern Shikokus, leben alte japanische Traditionen fort, die eigentlich schon längst als überholt gelten. Hier gibt es noch Aberglauben, Wunderheilungen und die Hoffnung auf einen Erlöser. Die Dynamik dieser Dorfgesellschaft beschreibt Ôe in seiner Trilogie Grüner Baum in Flammen.
Grüner Baum in Flammen ist zugleich Name des ersten Bandes sowie der Trilogie selbst. Im ersten Teil geht es vornehmlich um eine Einführung in die Dorfwelt: Als die hundertjährige alte Frau stirbt, die für das Dorf Vorstand, Geschichtenwahrerin und Heilerin in einem ist, muss sich das Leben im Dorf neu ordnen. Die alte Frau hat als Nachfolger Takashi ausgewählt, der überwiegend im Ausland gelebt und nun wieder in sein Heimatdorf zurückgekommen ist.
Helfen soll Takashi, der von allen in seiner neuen Position nur als Bruder Gii bezeichnet wird, die junge Satchan, die zuvor der alten Frau assistiert hat. Aus ihrer Perspektive wird die Geschichte von Bruder Gii geschildert:
„Im Zentrum der Erzählung stehen selbstverständlich die wundersame Passion und Erlösung des Neuen Bruder Gii; ich mit all meinen Merkwürdigkeiten spiele nur eine Nebenrolle.“ (17)
Mag Bruder Gii vielleicht in der Trilogie im Zentrum stehen, im ersten Band nimmt auch Satchan einen wichtigen Platz ein: Nicht umsonst nimmt nämlich neben der Verwandlung von Takashi zum Erlöser Bruder Gii auch die Geschichte von Satchans Verwandlung eine zentrale Rolle im Buch ein. Satchan ist kein gewöhnliches Mädchen, sondern ein Zwitter. Sie schwankt zwischen ihrer männlichen und weiblichen Seite, wandelt sich aber schließlich zur Frau.
Ôes Romane sind vielschichtig und ineinander verschachtelt. Viele Motive wie das Dorf in den Wäldern tauchen immer wieder auf. So zeigte er in Reißt die Knospen ab die Rohheit der Menschen im Dorf, in der Fang den Einbruch eines Fremden und in der Tag, an dem er selbst mir die Tränen abgewischt die bedrückende Atmosphäre im vom Armut gezeichneten Dorf kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges.
In Grüner Baum in Flammen dagegen wird das Dorf zu einem religiösen Erweckungsort. Die Geschichte von Bruder Gii ist zugleich eine typische Erlösergeschichte: Zunächst wird er vom Dorf angenommen und gefeiert, doch als er die Leute nicht von ihren Krankheiten zu befreien vermag, kippt die Stimmung.
„Man wird uns noch alle als tumbe Eingeborene abstempeln, die einem perversen Aberglauben verfallen sind.“ (318)
Ôes Bücher sind nicht immer leicht zu verstehen. Der nüchterne Schreibstil macht es zudem schwierig, in die Geschichte einzutauchen. Die Charaktere führen oft längere Dialoge über Diskussionsgegenstände außerhalb der eigentlichen Handlung. Nur wenn man sich die abstrakte Frage des Buches – welche Dynamik setzen religiöse Mythen in einer abgeschlossenen Gemeinschaft wie dieser in Gang – immer wieder selbst beim Lesen vor Augen hält, kann man sich durch die teilweise mühsamen Stellen des Romans kämpfen. Dafür wird man mit einem Thema und einer Umsetzung belohnt, das in seinem Kern hochinteressant ist.
Fazit
Ein Erlöser tief in den japanischen Bergen und eine seltsame Verwandlung. Der erste Band einer anspruchsvollen Trilogie.Verfasst am 23. Juni 2013 von Friederike Krempin
Tags: Kenzaburo Oe, Landleben, Nobelpreisträger, Religion, Umgang mit dem Tod, Verwandlung