Der Held der See aus dem Jahr 1963 erschien in Deutschland erstmals unter dem Titel Der Seemann, der die See verriet im Jahr 1970. Nun wurde der Titel nach über 50 Jahren durch Ursula Gräfe neu übersetzt.
Yukio Mishima zählt wohl zu den bekanntesten japanischen Autoren weltweit. Bekannt ist er vor allem dafür, dass er 1970 – nach einem missglückten Putschversuch – seppuku, den traditionellen Selbstmord durch das Aufschlitzen des eigenen Bauches mit einem Messer, beging.
Doch abgesehen davon steht Yukio Mishima – unabhängig davon, dass er ein Charakter bleibt, über den kontrovers diskutiert wird – für spannende und kunstvoll bis ins Detail gestaltete Romane, die das traditionelle mit dem modernen Japan kontrastieren und verknüpfen.
Auch Der Held der See spielt in dieser Zeit, die sich zwischen Tradition und Moderne bewegt. Zwar ist der Zweite Weltkrieg längst beendet, doch die Auswirkungen sind noch spürbar, etwa als der Junge Noboru mit seinen Freunden ein ehemaliges Truppengelände der US-Army besucht.
Noboru und seine fünf Freunde sind alle im selben Alter von 13 Jahren und allesamt klug und in der Schule die Klassenbesten. Trotz ihres jungen Alters bilden sie in ihrer Freizeit eine Bande, die auf seltsame Weise geistig viel älter scheint: Alle Jungen verachten ihre Väter (hat dies eventuell etwas damit zu tun, dass sie zur ersten direkten Nachkriegsgeneration gehören?), alle Jungen haben eine zutiefst nihilistische Ansicht und üben sich darin, keinerlei Gefühle zuzulassen. Unter diesen Voraussetzungen töten sie als Mutprobe eine Katze und weiden sie aus, ohne jegliche Regungen zu zeigen.
Während Noboru mit seinen Freunden mit solchen Abenteuern nach Ruhm und Ehre sucht, wirkt er zu Hause zunächst noch sehr kindlich. Seine Mutter Fusako sperrt ihn jeden Abend zu seiner Sicherheit in seinem Zimmer ein, doch sie weiß nicht, dass er sie durch einen Spalt in der Wand beobachten kann.
Als Fusako den Seemann Ryuji kennenlernt, ist Noboru zunächst begeistert von ihm und beobachtet die beiden verstohlen durch das Astloch. Doch je besser er den Mann kennenlernt und je mehr dieser sich auf seine Mutter einlässt, desto mehr wankt das Bild eines Helden, das Noboru bisher von ihm hatte.
Was wirkliche Klassiker ausmacht, ist, dass sie nicht nur eine Thematik enthalten, sondern viele verschiedene Aspekte auf ganz unterschiedliche Art und Weise gemeinsam in einer Geschichte verflechten. So ist auch die bis jetzt von mir zusammengefasste Handlung nur ein Teilaspekt aus einer ganz besonderen Perspektive, nämlich der des Jungen Noboru.
Auch Fusako und Ryuji bringen aber noch eigene Perspektiven und Probleme in die Handlung ein. Bei Fusako ist es etwa das Leben einer Witwe, bei Ryuji der Kontrast zwischen See- und Landleben und dessen Unvereinbarkeit. Das Meer ist allgegenwärtig, kraftvoll, bewundernswert und gefährlich. Die Ruhe, die er an Land findet, schwächt sein Bedürfnis nach heldenreichen Tate auf See jedoch ab:
„In seiner Vision hatten Ruhm, Tod und Frau immer eine Dreieinheit gebildet. Doch nachdem er die Frau erobert hatte, waren die beiden anderen aufs Meer hinausgetrieben und riefen nun nicht mehr mit dem klagenden Walgesang nach ihm.“ (Zitat aus: Yukio Mishima, Der Held der See, E-Book-Ausgabe)
Mit Worten wie Heldentum, Ruhm und Tod schließt sich der Kreis zu dem, was man von Yukio Mishima bereits kennt oder zumindest erwartet. Während Noboru nach diesem Heldentum sucht, ist sein Vorbild dabei, diese Heldenfunktion zu verlieren. Der Roman gipfelt daraufhin in ein spannungsvolles, jedoch offenes Ende.
Fazit
Ein Klassiker japanischer Literatur mit einer unbedingten Leseempfehlung!Verfasst am 3. Januar 2025 von Friederike Krempin