Ähnlich wie auch in Kokoro steht im Mittelpunkt des Romans ein junger Mann, der aus einer ländlichen Provinz zum Literaturstudium nach Tôkyô zieht. Für diesen Mann – Saschirô – ist die Großstadt eine völlig neue Welt, in der er sich erst zurechtfinden muss.
Sanshirô, dessen Wesen von Passivität und Unsicherheit geprägt ist, hat es am Anfang schwer, sich an das ihm so fremde Großstadt- und Studentenleben zu gewöhnen. Doch sein selbstbewusster und kommunikativer Kommilitone Yojirô bietet ihm Orientierung, indem er ihn in die Gelehrtenwelt einführt und in seine Bewegung einspannt, mit der die japanische Literatur revolutioniert werden soll.
Sanshirô lernt so neben der von Konventionen und Traditionen geprägten ländlichen Lebensweise eine großstädtische Lebensweise kennen, die Raum für freies Denken schafft. Doch er scheint in diese intellektuelle Welt nicht hineinzupassen, fühlt sich durch seinen ländlichen Hintergrund zu ungebildet für Diskussionen. In solchen Momenten flüchtet er sich in Briefe von seiner Mutter, die für ihn Repräsentantin der ihm vertrauten Welt darstellt und ihm Geborgenheit gibt.
Je länger Sanshirô aber in Tôkyô ist, desto mehr vergisst er seine Mutter – gerade auch weil er mit anderen Frauen in Berührung kommt. Er lernt die kindlich naive Yoshiko und die moderne, selbstbewusste Mineko kennen. Zu Mineko fühlt er sich trotz ihrer Undurchschaubarkeit und seinem Unterlegenheitsgefühl ihr gegenüber hingezogen.
Sanshirôs Wege ist eine episodenhafte Erzählung ganz alltäglicher Szenen aus Sanchirôs Leben wie etwa dem Besuch eines Sportfestes oder des Chrysanthemen-Puppen-Festes. Zwar ist die Liebe zu Mineko ein wichtiger Teil der Erzählung, sie geht aber in dem ganzen intellektuellen Geplauder und Yojirôs Revolutionsplänen etwas unter. Leider fehlt auch über die Episoden hinweg ein durchgängiger Spannungsbogen, der zum Weiterlesen motiviert.
Trotz dieser Schwächen zeichnet Sôsekis Roman ein sehr genaues Bild der Situation der japanischen Gesellschaft um 1900, die zwischen Traditionsbewahrung und Modernisierung steht. Die Figuren im Roman setzen sich aktiv mit der europäischen Kultur auseinander, indem sie über sie diskutieren. Die Frage, die sie sich für die Literatur stellen, kann stellvertretend auch auf alle anderen Bereiche der japanischen Gesellschaft übertragen werden: Inwiefern soll man westliche Kultur und Tradition übernehmen und inwiefern ist die eigene, japanische Kultur doch wert, sie weiter zu pflegen?
Fazit
Die Grundthematik - Tôkyô zwischen Tradition und Moderne, beobachtet vom jungen Sanshirô - ist spannend angelegt.Verfasst am 26. März 2010 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 18. August 2019