Dieser Kriminalfall, bei dem ein Mann im Februar 1948 in einer Tokyoter Bank 16 Angestellte vergiftete, hat ein reales Vorbild. Der Mörder konnte bis heute nicht gefunden werden und ein Mann, der für die Morde verurteilt wurde, ist wahrscheinlich unschuldig. Peace bearbeitet den Fall in einem experimentellen, ungewöhnlichen Fragmentroman nun literarisch.
War der erste Teil der Tokio-Trilogie Tokio im Jahr Null schon stilistisch für sein Genre ungewöhnlich anspruchsvoll, wird in diesem Roman nun noch stärker mit literarischen Formen experimentiert. Der Mordfall ist bis heute ungelöst, was Peace in einem Buch verarbeitet, das eigentlich keins ist: Zusammengesetzt aus Briefen, Amtsdokumenten, Tagebucheinträgen, Zeitungsberichten und Monologen ist das Buch vielmehr ein Fragment.
im Werden begriffenen Buchs;
des Buchs, das
nichts
werden wird (9f.)
Auch die Textpassagen, die erzählenden Charakter haben, lesen sich keineswegs fließend, sondern werden zersetzt durch abgesetzte Zeilen (wie im oberen Beispiel) oder sich immer wieder wiederholenden Schlagwörtern und Gedanken. Die Charaktere im Buch, die erzählen, sind gebrochene Charaktere: Die Toten, die im Chor ihr Leid klagen, die junge Frau, die nicht fassen kann, dass sie überlebt hat und die Polizeiinspektoren, die mehr mit sich als ihrer Arbeit beschäftigt sind. Das Lesen wird so manchmal fast zu einem Text mit dem Kampf, benötigt Konzentration und Durchhaltewillen.
Dieses Beispiel gibt die wirren Gedanken eines Polizeiinspektors wieder:
Ein Beispiel für die nüchternen Sachtexte bietet das Notizbuch eines andere Polizeiermittlers:
Die Textformen im Buch sind wirklich vielfältig, jede Perspektive auf den Fall, sei es durch ein Opfer, einen Ermittler, einen Russen, einen Amerikaner, die Toten oder durch den Mörder selbst, hat einen anderen, ganz eigenen Schreibstil.
Hat man am Anfang noch das Gefühl, es läuft durch die Betrachtung des Falles aus verschiedenen Perspektiven auf eine Aufarbeitung des Falles hinaus, wird man bald enttäuscht. Die geschichtlichen Hintergründe sind dafür aber umso spannender: Eine Spur führt nämlich zu denen, die sich mit Giften auskennen, einer Spezialeinheit, die während es Zweiten Weltkrieges Biowaffen entwickelt und in China getestet hat. Aber leider bleibt sie nur eine Spur, Ergebnisse gibt es am Ende keine – nur die Hypothese, dass für die Morde ein wahrscheinlich unschuldiger verurteilt wurde.
Peace fordert mit seinem Buch den Leser heraus, mitzudenken und mitzuarbeiten. Gleichzeitig schafft der anstrengende Schreibstil aber auch eine ganz eigene, bedrohliche Athmosphäre einer besetzten, zerstörten Stadt mit gebrochenen, zerstörten Charakteren. Wer nicht nur auf reine Unterhaltung aus ist, wird an diesem unkonventionellen Fragment viel Freude haben.
Fazit
Die Nerven strapaziert hier nicht die spannende Handlung sondern die anstrengende Schreibweise.Verfasst am 2. Mai 2012 von Friederike Krempin
Tags: Leben in Tokyo, Nachkriegszeit