Außergewöhnliche, verhängnisvolle Liebschaften sind Jun’ichiro Tanizakis Markenzeichen. So auch im Tagebuch eines alten Narren, in dem sich der alternde Utsugi Tokusuke von seiner Schwiegertochter angezogen fühlt.
Liebe und Begehren im Alter
Ich hänge nicht mehr im Mindesten an meinem Dasein; aber solange ich auf Erden bin, fühle ich mich nun einmal unwiderstehlich zu den Frauen hingezogen. (22)
Utsugi Tokusuke vertraut seinem Tagebuch seine intimsten Gedanken an. Dabei sind es eigentlich nur zwei Dinge, die ihm beschäftigen: Sein Alter, seine Krankheiten und sein Begehren. Dies gilt vor allem seiner Schwiegertochter, deren kühl-abweisende Art ihn besonders reizt. Auch wenn Utsugi sich nicht immer gesund fühlt und sein Körper ihm mit 77 Jahren viele Probleme bereitet, auch wenn er äußerlich ein alter Mann ist, innerlich brodeln doch die Gefühle in ihm. Er kann sich nur mit einem trösten:
Aber es liegt ein gewisser Vorteil darin, wenn alle Welt glaubt, man selber habe klar erkannt, dass man ein alter Mann sei, der zur Liebe nicht mehr fähig ist. Wenn dieser Vorteil einem auch sonst nichts einbringt, so ist es einem dadurch doch vergönnt, mit schönen Frauen zusammen zu sein. (23)
Seine Schwiegertochter weiß genau, was in Utsugi vorgeht. Sie macht sich sein Begehren zu nutzen, ohne dass es die Familie, die gemeinsam in einem Haus wohnt, mitbekommt.
Ein Tagebuch mit Höhen und Tiefen
Schnell vergisst man beim Lesen, dass es sich bei Utsugis Tagebuch um Fiktion handelt. Zu präzise sind die Schilderungen rundherum, angefangen von Kabuki-Theaterdarstellungen bis zur Aufzählung der Medikamente, die Utsugi verabreicht bekommt. Aber Utsugis Aufzeichnungen wirken wohl nicht umsonst so authentisch: Tanizaki ist 1960, als er das Tagebuch eines alten Narren verfasst, im selben Alter wie Utsugi.
Während das Tagebuch oft sehr spannend zu lesen ist, hat es neben erzählerischen Höhen aber auch ebensolche Tiefen. Die ausführlichen Schilderungen der Theateraufführungen am Anfang beispielsweise dürften alle irritieren, die sich sonst nicht mit japanischer Kultur beschäftigen. Später dann nimmt die Spannungskurve leider ab und Utsugi beschäftigt sich mehr und mehr mit seinen Krankheiten – weil sein Körper ihn dazu zwingt. So ist das Tagebuch eines alten Narren keinesfalls ein Tagebuch mit Happy End und irgendwann auch kein Tagebuch der Lüste mehr, sondern eher das Tagebuch eines Verfalls.
Was das Tagebuch eines alten Narren aber trotz allem so spannend macht, ist die so authentisch scheinende Perspektive mit der Tanizaki Einblick in die Gedanken eines alten Mannes – und damit auch ein Stückweit in seine Gedanken als alternder Schriftsteller – gibt.
Fazit
Mit diesem Tagebuch thematisiert Tanizaki zu seinem Erscheinungszeitpunkt ein Tabuthema und lenkt den Blick auf die weniger offen diskutierten Aspekte des Älterwerdens.Verfasst am 15. Juli 2015 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 26. August 2019