Auch wenn Ōgai Moris Todestag sich 2022 schon zum einhundertsten Mal jährt, seine Erzählungen sind immer noch relevant und keinesfalls veraltet, erzählen sie doch von der Modernisierung Japans zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Suhrkamp hat diesen Klassiker nun in der Reihe Wiederentdeckt neu aufgelegt.
Die Besonderheit von Ōgai Moris Erzählungen ist dabei, dass sie nicht nur ein außergewöhnliches Zeugnis des Modernisierungsprozesses in Japan sind, sondern dass sich in ihnen auch ein ganz besonderes Verhältnis zu Deutschland zeigt: In den 1880er Jahren besuchte Mori Deutschland persönlich und ist so wohl der erste japanische Schriftsteller, der das kaiserliche Deutschland in seinen Erzählungen so plastisch für seine Landsleute darstellt.
Im Umbau enthält insgesamt elf Erzählungen, die in Japan zwischen 1890 und 1916 veröffentlicht wurden. In vier davon geht es um Begegnungen zwischen Deutschen und Japanern. Unter diesen Erzählungen ist auch Moris bekannteste Novelle maihime, die ebenfalls in einer Einzelausgabe veröffentlicht wurde. Maihime (1890) verarbeitet – für die damalige japanische Literatur modern und revolutionär – Moris eigene Erfahrungen und erzählt in Ich-Perspektive von einem Japaner, der sich in den 1980ern in Berlin aufhält und dort in eine Tänzerin verliebt. Im Konflikt zwischen der Liebe zu dieser deutschen, mittellosen Frau und seinen Verpflichtungen gegenüber dem japanischen Staat kann die Liebe schließlich nur unglücklich enden.
Wellenschaum erzählt vom Aufenthalt eines japanischen Malers in München. Hier verknüpft Mori den Aufenthalt seines Protagonisten mit dem Tod des berühmten Sonnenkönigs Ludwig im Starnberger See und liefert eine Erklärung, warum indirekt schließlich ein Japaner Schuld daran ist. In Der Bote beschreibt Mori einen Aufenthalt beim Militär und Adel in Sachsen. In der titelgebenden Erzählung Im Umbau befindet sich der Erzähler zur Abwechslung in Japan und erhält Besuch von einer Deutschen. Diese hat versucht, als Tänzerin in Japan aufzutreten, ist damit doch nur wenig erfolgreich. Der Erzähler vertröstet sie auf später:
„Japan ist noch nicht so weit. Japan ist noch im Umbau.“ (S. 97)
Auch die weiteren Erzählungen stehen unter der Überschrift Umbau und Modernisierung. So beschreibt Mori in Becher die ländlich-idyllische Szenerie einer Quelle, an der sechs junge Mädchen mit sechs gleichen Bechern frisches Wasser schöpfen. Auf einmal kommt ein fremd aussehendes Mädchen mit einem andersartigen Becher dazu. Obwohl die anderen Mädchen sie wegen ihrer Andersartigkeit ausschließen, lässt sie sich nicht stören und schöpft das Wasser aus ihren Becher, so wie sie es will.
Spätere Erzählungen wie Der Zwischenfall in Sakai (1914) und Hanshan und Shide (1916) dagegen erzählen von historischen Begebenheiten, denen sich Mori vor allem in seinem Spätwerk widmet. So enthält Im Umbau mit den Erzählungen insgesamt einen guten Querschnitt über das Schaffen Moris.
Als Militärarzt und Staatsbediensteter war Mori wesentlich mit an der Modernisierung des japanischen Staates beteiligt. Seine Erzählungen bezeugen nicht nur seine für die damalige Zeit seltenen Privilegien, Einblicke auch über die Grenzen Japans hinaus erhalten zu haben, sondern zeigen auch die Beobachtungen eines Menschen, für den Fortschritt, Modernisierung und Umbau eine Chance und keine Bedrohung darstellen.
Fazit
Ein der Klassiker neben Sōseki Natsume: Ōgai Mori sollte man gelesen haben, um die Modernisierung Japans während der Meiji-Zeit literarisch zu erleben.Verfasst am 27. August 2019 von Friederike Krempin