Die ersten fünf Jahre ihres Lebens hat Amélie Nothomb in Japan verbracht – und sich in das Land verliebt. Auch mit 44 Jahren lassen sie ihre Kindheitserinnerungen nicht los – und so wagt sie sich auf eine Reise an die Orte ihrer Kindheit.
Natsukashii beschreibt im Japanischen die nostalgische Erinnerung an ein früheres Ereignis – eine glückliche Erinnerung, die man mit heiterer Wehmut erlebt. Genau so geht es Amélie Nothomb, als sie mit einem französischen Fernsehteam, das eine Dokumentation über sie dreht, nach Japan fährt. Sie besucht die Nachbarschaft, in der sie aufgewachsen ist und in der sie fast nichts wiedererkennt, da die Wohngegend durch das Große Beben von Kobe 1995 fast komplett zerstört wurde. Sie trifft auch ihr Kindermädchen wieder, das inzwischen über 80-jährig alleine in einer Sozialwohnung wohnt und das Große Beben von 2011 scheinbar nicht mitbekommen hat oder nicht mehr erinnert.
In all diesen Begegnungen liegt Wehmut: erst Glück, dann Schmerz über die erneute Trennung. Vor allem aber helfen die Begegnungen Amélie Nothomb bei der Beantwortung der Frage, was Erinnerungen sind und was Phantasie ist. Dabei hat sie eigentlich schon in der Einleitung die Antwort parat:
Zu keinem Zeitpunk habe ich beschlossen, etwas zu erfinden. Das ist von selbst passiert. Es ging nie darum, Falsches ins Wahre einzufügen oder das Wahre mit dem Anschein des Falschen zu bekleiden. Was man erlebt hat, klingt in der Brust nach – und diese Musik will man beim Erzählen heraufbeschwören. […] Das erfordert Schnitte und Annäherungen. Man streicht weg, um zu dem Gemütszustand vorzudringen, dem man verfallen ist. (5)
Eine heitere Wehmut ist damit mehr als eine bloße Erinnerung an eine Kindheit in Japan, sondern Amélie Nothomb ergründet das Erinnern an sich. Der Schauplatz dafür ist Japan, doch das Land rückt gefühlt doch deutlich stärker hinter diese universelle Thematik zurück als ältere Bücher wie Der japanische Verlobte oder Mit Staunen und Zittern, die sich auf die interkulturelle Begegnung zwischen Europa und Japan konzentrieren. Besonders häufig wird auch auf diese beiden Bücher verwiesen: Eine heitere Wehmut wird erst dann richtig verständlich, wenn man Nothombs bisherige Bücher über Japan kennt.
Am Ende ist Eine heitere Wehmut aber wieder eine deutliche Liebeserklärung von Japan:
Bis jetzt war meine Romanze mit Japan perfekt. Sie enthielt die unverzichtbaren Ingredienzien legendärer Lieben: eine betörende Begegnung in frühester Kindheit, Trennung, Trauer, Sehnsucht, Wiedersehen mit Zwanzig, Intrige, leidenschaftliche Affäre, Entdeckungen, überraschende Wendungen, Zweideutigkeiten, Verlobung, Flucht, Vergebung, Nachwehen (24).
Damit wird Nothombs Roman zu einer Schatzkiste für alle, die in ähnlicher Weise wie sie tief mit Japan verbunden sind, dort aber nicht wohnen oder schon länger nicht mehr da waren.
Fazit
Hinter den Kindheitserinnungen aus Japan verbirgt sich eine sehr universelle Geschichte: Die auf der Suche nach alten Erinnerungen.Verfasst am 25. Juli 2017 von Friederike Krempin