Die Tränen des Himmels

Die Tränen des Himmels



Blanvalet
439 Seiten
ISBN: 9783641125271

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Keiji Nakazawa

Als am 9. August 1945 die Atombombe auf Nagasaki fällt, trennt sie ein junges Pärchen voneinander. Fast 70 Jahre später macht sich die Enkelin auf die Suche nach dem Geliebten ihrer Großmutter – und verstrickt sich dabei in eine ganz eigene Liebesgeschichte.

Japan 1945 und 2011

Die Geschichte ist durchaus interessant aufgebaut: Im Roman wechseln sich die unterschiedlichen Zeitebenen ab. Auf der einen Ebene erzählt Andrés Pascual vom jungen Kazuo, der auf der Suche nach seiner Freundin Junko 1945 durch die Atomruinen Nagasakis schweift. Auf der anderen zeitlichen Ebene, 2011, unmittelbar vor dem großen Ostjapanischen Erdbeben, sucht Junkos Enkelin Mei nach Kazuo und gerät auf ihrer Suche an den Schweizer Emilian. Mei kommt ohne Emilians Kontakte mit ihrer Suche nicht weiter, zugleich aber vertreten beide zwei vollkommen konträre Standpunkte: Während Emilian in der Atomkraft eine wichtige Brückentechnologie sieht, sieht Mei nur die Gefahren.

Langsam führt Pascual die Zeitebenen zusammen und erzählt gleichzeitig zwei Liebesgeschichten. Obwohl sich das alles etwas kitschig anhört, gibt es am Schluss doch ein realistisches und doch sehr überraschendes Ende.

Unterhaltsames Buch mit einigen Ungereimtheiten

Zwar ist die Geschichte interessant erzählt und durch den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Zeitebenen durchaus spannend, trotzdem gibt es einige kleinerer Ungereimtheiten in der Geschichte, die sich aufsummieren und den Eindruck hinterlassen, der Autor habe für sein Buch nur oberflächlich recherchiert.

Merkwürdig ist zum Beispiel die im Buch beschriebene Haltung Japans zur Atomkraft. So wird Mei als Nachfahrin einer durch die Atombombe Geschädigten als Gegnerin der friedlichen Nutzung von Atomkraft dargestellt. Emilian Zäch, der um jeden Preis sen Projekt verwirklichen will, argumentiert dagegen für die Atomkraft als saubere Brückentechnologie und spielt die Risiken herunter. Sein Projekt, das er für Japan geplant hat, scheitert aber schließlich an Sicherheitsbedenken der Japaner. Der Roman dazu:

„Du wusstest doch ganz genau, dass Atomenergie für die japanische Regierung ein heikles Thema war.“ (Position 784)

Ein besonderes Thema ist Atomenergie in Japan in der Tat, jedoch hat die Atomlobby, die in Japan auch unter der Bezeichnung „Atomdorf“ bekannt ist, einen großen Einfluss und sorgt eben seit Jahrzehnten dafür, dass Sicherheitsbedenken umgangen werden können. Das Bild zur Haltung der Atomkraft der Japaner, das in „Die Tränen des Himmels“ wiedergegeben wird, weicht also sehr stark von den tatsächlichen Verhältnissen ab.

Zwar ist es nicht die Aufgabe eines Romans, die tatsächlichen Verhältnisse abzubilden, wer sich aber wie Pascual so stark auf zwei historische Ereignisse – den 9. Augut 1945 und spöter den 11. März 2011 – bezieht, sollte diese doch einigermaßen konsistent erzählen.

Zumindest im Hinblick auf Kazuos Streifzug durch das zerstörte Nagasaki scheint dies zu gelingen. Alles wirkt irgendwie bekannt, alles hat man irgendwie schon einmal irgendwo gelesen – kurzum: Kazuos Geschichte wirkt, wie aus vielen einzelnen Geschichten zusammengetragen und neu zusammengeschrieben. Ein legitimes Mittel für einen Schriftsteller, wenn nicht wieder zu einem viel zu frühen Zeitpunkt, an dem Kazuo von der Atombombe noch gar nichts wissen kann, von „vermutlich[en] Überreste[n] des Atompilzes“ gesprochen würde.

Sehr dramatisch wird es auch, als der Roman schließlich in den Ereignissen vom 11. März 2011 gipfelt:

„Als man von den Schäden im Atomkraftwerk Fukushima erfuhr, wurden in allen Zimmern die Stimmen von Menschen laut, die sich am liebsten sofort auf den Weg gemacht hätten, um den Arbeitern des AKW als freiwillige Helfer zur Seite zu stehen.“ (Position 6483)

So schliedert Pascual die Ereignisse am Nachmittag des 11. März. Tatsächlich aber sind zu diese Zeitpunkt die Schäden am Atomkraftwerk überhaupt nicht bekannt, ist gerade einmal von dem Ausfall der Kühlsysteme und einer Notkühlung die Rede. Dass Menschen, die gerade ein Erdbeben erlebt haben und sich zunächst zurechtfinden müssen, sofort nach Fukushima Daiichi eilen, entspringt wohl auch eher der Fantasie des Autors.

Exotisierendes Japanbild

Der Autor liebt Japan, das macht er im Vorwort sehr deutlich. Vielleicht ist dieser Liebe zu Japan auch der exotisierende Blick geschuldet, den der gesamte Roman auf Japan hat. Einige Beispiele:

„Die Millionen Menschen, die hier die Bürgersteige entlangeilten, ohne einander dabei auch nur zu streifen, selbst die Überschallzüge, die mit millimetrischer Genauigkeit durch die Landschaft schossen, bewegten sich im Rhythmus der fallenden Kirschblüten.“ (Position 465)

„Von den Angestellten in den Kaufhäusern bis hin zur tetur des Sashimi war hier alles sanft und zart.“ (Position 465)

Diese exotisierenden Beschreibungen kann man noch schmunzelnd überlesen, schwieriger wird es allerdings, wenn von genetischen Eigenschaften die Rede ist:

„Es war gar nicht so einfach, sich ganz normal mit einer Japanerin zu unterhalten. Ihr Gehirn folgte ganz anderen Richtlinien, und beim Flirt mit dieser fremden Kultur wandelste sich selbst die Bedeutung von Wörtern.“ (Position 1343)

„Sie mochte zwar versuchen, sich mit europäischer Nüchternheit zu kleiden, durch ihre Adern jedoch flossen Anime-Comics.“ (1685)

„… den Japanern lag ihre zurückhaltende Art in den Genen.“ (5660)

Teilweise nicht richtig lektoriert?

Neben all diesen inhaltlichen Kritikpunkten erweckt der Roman aber auch sprachlich den Eindruck, er sei teilweise nicht besonders liebevoll lektoriert worden. Einige Ausdrücke passen einfach nicht, sprachliche Vergleiche hinken. Besonders auffällige Beispiele sind hier:

„…die Kinder für ein paar Wochen aus dem postnuklearen Panorama herauszuholen“ (Position 4228)

Das postnukleare Panorama steht hier einfach für die ukrainische Heimat der von Tschernobyl betroffenen Kinder. Wie kann ein Ort ein Panorama sein?

„Mit einem mal wurde Mei eiskalt, als hätte jemand im Raum Radioaktivität freigesetzt.“ (Position 5072)

Die Freisetzung von Radioaktivität erzeugt keine Kälte, wenn dann eher Verbrennungen.

Auch ohne sich hier jeweils an den Details länger aufhalten zu müssen, alles in allem ergibt ein Bild eines sehr oberflächlichen Unterhaltungsromans, der unter Einbindung von Stereotypen und altbekannten Geschichten von Japan erzählt, ohne tatsächlich etwas neues zu erzählen. Wer mehr über den Atombombenabwurf von Nagasaki empfehlen will, dem empfehle ich Ground Zero Nagasaki oder verstrahltes Leben. Auch zu den Ereignissen am 11. März 2011 gibt es wesentlich packende Erzählungen und Erlebnisberichte.

Fazit

Unterhaltend, aber für echte Japan-Fans enttäuschend.

Verfasst am 26. Juli 2014 von

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