Eine Großstadt wie Tokyo schläft nie. Aber nachts funktioniert sie nach eigenen Gesetzen. Die Studentin Mari bekommt dies zu spüren, als sie sich entschließt, nicht wie sonst nach Hause zu fahren, sondern in der Stadt zu bleiben.
Wir begleiten Mari, die wegen familiärer Probleme nicht nach Hause will, von Mitternacht bis 7 Uhr morgens. Begleiten ist hier der richtige Ausdruck, denn von Anfang an nimmt der Leser durch die von Murakami gewählte Wir-Perspektive den Standpunkt eines Beobachters ein.
Ausgehend vom Restaurant, in dem Mari die Zeit totschlägt, lernen wir Takahashi, Jurastudent und Hobbymusiker, der die ganze Nacht über mit seiner Band probt, kennen. Wir beobachten, wie Mari in einem Love Hotel zur Übersetzerin für eine chinesische Prostituierte wird, die von ihrem Freier misshandelt wurde. Wir lernen die Frauen, die das Love Hotel betreiben, kennen und werden Zeuge davon, wie sich Mari und Takahashi näher kommen.
Aber Afterdark wäre noch kein typischer Murakami-Roman, wenn nicht auch surreale Elemente vorkommen würden. Diese sind auf einer zweiten Handlungsebene eingebaut. Wir begleiten nämlich nicht nur Mari durch die Großstadt, sondern auch ihre ältere Schwester Eri in einer surrealen Welt. Eri ist vor 2 Monaten in einen tiefen Schlaf gefallen und lebt seitdem in einer anderen Wirklichkeit. über einen Fernseher stellt Murakami eine Verbindung zu dieser Wirklichkeit her.
Das Motiv der zwei Wirklichkeiten beziehungsweise zwei Welten und dem Moment, indem die Grenze zwischen beiden Welten durchlässig wird, wird in zwei Dialogen aufgegriffen und tiefergehend diskutiert.
Trotzdem kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Handlungsaufbau insgesamt nicht rund ist. Vieles bleibt im Unklaren und wird bis zum Ende nicht aufgeklärt. Auch die Lösung des Problems – die Verständigung über zwei verschiedene Welten hinweg – wird am Ende nur oberflächlich und unzufriedenstellend gelöst.
Hinzu kommt die objektive, distanzierte Erzählweise. Mit Regieanweisungen wird der Leser wie mit einer Kamera durch die Geschichte geführt. Die Erzählung ist sehr szenisch gestaltet, sodass die Menschen nur durch das, was sie sagen und durch ihr Äußeres beschrieben werden – ein Blick in ihre Köpfe, hinter die Fassaden, ist nicht möglich.
Diese Erzählweise könnte Spannung aufbauen – lässt sie so die Charaktere doch rätselhaft und undurchsichtig erscheinen. Im Gesamtzusammenhang wirkt sie aber wie der Handlungsaufbau einfach nur oberflächlich.
Murakami verschenkt hier eindeutig Potenzial, das in der Erzählstoff an sich eigentlich bietet. Bedenkt man aber, dass der Roman letztlich nur knapp 185 Seiten umfasst (die restlichen Seiten sind leere Seiten zwischen den einzelnen Kapiteln, sodass man auf 237 kommt!) , so kann mit dem kurzen Umfang vielleicht auch die Oberflächlichkeit etwas entschuldigt werden.
Murakami-Neueinsteiger sollten zu einem anderen Buch greifen, denn dieses wird sie (aufgrund des hohen Lobs an Murakami durch Medien und Kritiker) enttäuschen. Murakami-Fans sollten sich ihr eigenes Urteil bilden, sich jedoch nicht zu viel erhoffen.
Fazit
Ein eher unausgereiftes, oberflächliches Werk - Murakami kann das besser.Verfasst am 23. September 2009 von Friederike Krempin
Tags: Großstadt, Haruki Murakami, Nachtleben, Parallelwelt