Keigo Higashinos wurde in Deutschland für besonders raffiniert und intelligent konstruierte Krimis bekannt. Mit Unter der Mitternachtssonne legt er nun einen 700 Seiten starken Thriller vor, der nicht nur spannend zu lesen ist, sondern seinen Lesern auch einiges abverlangt.
Die wichtigste Empfehlung vorweg: Sofern noch nicht geschehen, solltet ihr unbedingt darauf verzichten, den Klappentext vorher zu lesen! Denn leider verrät dieser die komplette Rahmenhandlung und wer der Mörder ist. Startet man ohne dieses Vorwissen den Thriller, so wird er zu Beginn wahrscheinlich unglaublich komplex erscheinen, bleibt dadurch aber auch länger spannend.
Der Mordfall selbst ist wie immer eigentlich recht unspektakulär: ein Pfandleiher aus einer armen Gegend in Ôsaka wird erstochen aufgefunden, doch der Mörder kann nicht ermittelt werden. Sehr ungewöhnlich und zugleich das besondere an diesem Thriller ist, dass sich der Ermittler komplett zurückzieht und von nun an über die nächsten circa 450 Seiten ausschließlich die Lebensgeschichte des Sohnes des ermordeten Pfandleihers und weiterer Personen aus dessen Umfeld erzählt wird.
Genau diese spannende Konstruktion ist aber auch der Grund, warum Unter der Mitternachtssonne nicht nur ein Buch für Thriller-Leser ist, sondern für jeden mit ein wenig Interesse am Japan der 70er und 80er Jahre. Trotzdem ist Unter der Mitternachtssonne kein Roman, der sich einfach weglesen lässt – nicht umsonst liegt dem Buch ein Lesezeichen mit den 19 wichtigsten handelnden Personen bei.
Durch die Vielzahl an handelnden Personen und deren Lebensgeschichten ist Unter der Mitternachtssonne wie ein Kaleidoskop. Themen wie Armut, Verschuldung, Yakuza, Kleinkriminalität, Highschool- und Teenageralltag werden alle abgedeckt. Die Stimmung bleibt dabei düster und hoffnungslos, ganz ähnlich wie in Geständnisse, Grotesk oder Gold Rush. Deshalb spielt es letztlich auch nur eine untergeordnete Rolle, den Täter zu überführen, denn nach den 700 Seiten wird klar, dass zwar ein unberechenbarer, kaltblütiger Mensch am Werk ist, aber auch, warum er so geworden ist.
Fazit
Ein komplexer, herausfordernder aber zugleich außergewöhnlicher Thriller. Für Fans von Natsuo Kirino und Fuminori Nakamura.Verfasst am 1. April 2018 von Friederike Krempin
Tags: Hass, Keigo Higashino, Mobbing