Japan ist nicht immer nur das Land des Lächelns. 1997 schockierte die grausame Mordtat eines 14-jährigen, der den abgetrennten Kopf seines Opfers wie eine Trophäe vor einer Schule in Kôbe aufstellte, ganz Japan. Miri Yu hat diesen Stoff in ihrem Roman verarbeitet.
„Der Junge“, wie der 14-jährige Protagonist lieblos vom Erzähler bezeichnet wird, lebt in Tôkyô. Das einzige, was er mit dem wirkliche Mörder gemeinsam hat, ist sein Alter und dass er einen Mord begehen wird. Der Rest ist Yus Fiktion.
Diese Fiktion ist aber ganz schön grausam: zwar mangelt es dem Jungen materiell an nichts (sein Vater ist Besitzer eine großen Pachinko-Kette), dafür beherrscht Angst und Gewalt sein Leben. Die Mutter ist schon vor Jahren weggelaufen, weil sie mit ihrem behinderten Sohn Kôki, dem älteren Bruder des Jungen, nicht mehr klarkam. Seine ältere Schwester lässt sich mit fremden Männern ein und sich von ihnen bezahlen, der gewalttätige Vater bricht ihr dafür die Knochen, sie bleibt die Nacht über im Wohnzimmer liegen – auf Drogen, um den Schmerz auszuhalten, weil sie sich nicht ins Krankenhaus traut.
Der Junge möchte erwachsen werden, denn wer erwachsen ist, hat Macht über andere, denkt er sich. Aber wie wird man erwachsen? Tief im Inneren des Jungen brodelt es, schwelt der Konflikt zwischen seinem Wunsch erwachsen zu werden und der kindlichen Ohnmacht, der Sehnsucht nach liebevollen Eltern. Da er nicht gelernt hat, seine Gefühle auszudrücken, gipfelt dieser Konflikt in Gewalt.
Der Roman beginnt direkt mit Gewalt, die beim Lesen ein Gefühl der Unruhe und Aussichtslosigkeit zurücklässt. Zwar ist die Erzählweise sehr neutral, aber gerade diese Neutralität bringt eine schonungslose Schilderung der Bilder, eine genaue Bestandsaufnahme der Gerüche, Körperflüssigkeiten und Geräusche in den bedrohlichen Szenen mit sich.
Im Verlauf der Geschichte geht die Gewalt aber zurück, verlagert sich die Erzählweise zunehmend ins Haus des Jungen, in seine Gefühlswelt und Träume, die von Wahnvorstellungen, Ängsten und surrealen Visionen geprägt werden.
Obwohl sich das Buch fast atemlos liest, obwohl die Grausamkeit auch „abgehärtete“ Leser erschrickt, ist das Ende dann doch ziemlich ruhig. Die große Katastrophe bleibt aus, aber auch eine befriedigende Lösung wird nicht gefunden.
Fazit
Bei diesem grausaumen, ausweglosen Buch ist es eine Wohltat, nach dem Lesen wieder in der Wirklichkeit anzukommen.Verfasst am 22. September 2010 von Friederike Krempin
Tags: Diskriminierung, Gewalt, Japans Schattenseiten, Koreaner in Japan, Kriminaliät, Miri Yu, Pachinko, Yakuza