Kurz nach der Dreifachkatastrophe in Fukushima wurde die Textinitiative Fukushima gegründet, die japanische Texte ins Deutsche übersetzt und so auch diejenigen an der innerjapanischen Debatte um Fukushima teilhaben lässt, die kein Japanisch verstehen. Die Ergebnisse wurden nun in einem Lesebuch veröffentlicht.
Das Lesebuch ist interdisziplinär ausgerichtet und enthält vier Themenkomplexe: Atompolitik in Japan, Kunst nach Fukushima, Medienmanipulation durch die Atomlobby und Anti-AKW Proteste nach Fukushima.
Atomkraft, Atompolitik, Atomarbeit
Am spannendsten ist wohl das Kapitel zur Atompolitik in Japan, in dem der Arbeiter Kawakami Takeshi von seiner gefährlichen Arbeit im Atomkraftwerk erzählt. Kathrin Gegenbach, Felix Jawinski und Dorothea Mladenova erläutern außerdem auf Grundlage japanischer Quellen, wie die Atomlobby in Japan so mächtig werden konnte. Die einzelnen Übersetzungen und Aufsätze, die das Material zusammentragen und einordnen geben einen guten Überblick über Geschichte und Status Quo der Atomkraft in Japan.
Kunst und Katastrophe
Ein wenig enttäuschend ist dagegen das Kultur-Kapitel, in dem die Autoren Theater, Comics, Filme und Literatur nach Fukushima vorstellen und zusammenfassen. Das Kapitel besteht ausschließlich aus Analysen, was diesem Buchteil eher den Charakter einer wissenschaftlichen Aufsatzsammlung gibt. Besonders schade zum Beispiel: Eine Kurzgeschichte von Yōko Tawada mit Bezug zu Fukushima wird analysiert und dabei Schritt für Schritt vorgestellt, der Originaltext ist aber nicht übersetzt. Von einem Lesebuch würde aber eher den Originaltext statt einer Analyse erwarten.
Medienmanipulation und mediale Aufklärung
Bis auf diesen Wehrmutstropfen hat das Lesebuch aber noch viel Spannendes zu bieten: Kamanaka Hitomi verfolgt die Spuren der radioaktiven Kontaminierung bis in den Irak. Christiane Rühle stellt die Werbung vor, die in den ersten Tagen nach der Katastrophe im Fernsehen lief – die Unternehmen zogen ihre herkömmliche Werbung nämlich zurück, da sie Angst hatten, ihre Werbung hätte in so einer Zeit nur einen negativen Effekt auf ihr Image.
Politische Diskussion, Proteste und eine neue kritische Öffentlichkeit
Der letzte Themenblock enthält einen bisher einmaligen und umfassenden Überblick über die Anti-Atomprotestbewegung in Japan: Verschiedene Akteure werden vorgestellt und Andreas Singler unternimmt auf 30 Seiten in einer Art Reportage einen Streifzug durch die Protestszene. Raphael Raddatz berichtet außerdem von den rechten Kräften in Japan, die von der Atomfrage gespalten werden.
Zusätzliche Inhalte zur Website?
Ursprünglich begann die Textinitiative Fukushima mit einer Website, auf der bis heute alle übersetzten Texte öffentlich zugänglich sind – unter anderem zum Beispiel auch die Berichte des AtomarbeitersKawakami Takeshi. Das Lesebuch Fukushima ist keine Druckversion dieser Website, sondern geht darüber hinaus: Die auf der Website noch einzeln präsentieren Texte werden im Buch verknüpft und zusammengefasst. Genauso wie das Buch nicht alle Webtexte enthält, sind auf der Website andersherum aber auch nicht alle Themen des Buches zu finden. So lassen sich beide unabhängig durchstöbern, ergänzen sich aber zugleich.
Der Platz in einem Buch ist immer begrenzt, und so ist die Idee der Textinitiative Fukushima, auch online Texte zugänglich zu machen, richtig. Es bleibt zu hoffen, dass die Initiative weiterhin ihre Arbeit fortsetzt und das Lesebuch – vielleicht auch online – immer wieder mit neuen Artikeln ergänzt wird. Das Thema Fukushima ist schließlich noch lange nicht abgeschlossen.
Fazit
Fukushima, Atomkraftwerke und Gesellschaft in Japan - ein Einblick in die Macht der japanischen Atomlobby und gesellschaftliche Veränderungen nach 3/11.Verfasst am 24. August 2013 von Friederike Krempin
Tags: Atomkraft, Erdbeben 2011, Fukushima, Lisette Gebhardt