Sôseki Natsume ist in Japan ein sehr bekannter Autor, ähnlich wie Goethe in Deutschland. Zu seinem einhundertsten Todestag gibt es nun endlich auch wieder eine Neuübersetzung auf Deutsch – eine Erzählung, die eher untypisch für Sôsekis Werk ist, aber zugleich auch so besonders, dass Haruki Murakami in einem seiner Romane einen Querverweis einbaut – und schaut man genau hin, findet man noch eine weitere Verbindung zwischen Murakami und Natsume.
Auf knapp 220 Seiten erzählt Natsume die Geschichte eines 19-jährigen jungen Mannes, der – hin- und hergerissen zwischen einer Vernunftheirat und seiner wahren Liebe – von zu Hause wegläuft. Obwohl er materiell keine Probleme hat und nie arbeiten musste, erträgt er sein Leben so nicht weiter und beschließt zu sterben.
„Dummerweise wurde der Weg, auf dem ich ging, weder heller noch dunkler. Bis in alle Ecken hin erstreckte sich ein diffuses Einerlei und aus allen Ecken heraus kroch diese unberechenbare Unsicherheit. Dafür lohnte es sich nicht zu leben, aber anders herum konnte ich mich auch nicht zum Sterben durchringen. Ich wollte und musste einen menschenleeren Ort finden, unter allen Umständen, um dort ganz für mich allein zu leben.“ (9)
In dieser Situation ist ihm fast alles egal, und so lässt er sich von einem Schlepper für die Arbeit in einer Kupfermine abwerben. Genau der richtige Ort, um sich vor der Gesellschaft zu verbergen, um tief in ein Berginneres zu gehen, das vielleicht auch das Innere des jungen Mannes selbst ist.
Das die Flucht des jungen Mannes eine Reise zu sich selbst ist, zeigt die stark auf seine eigenen Empfindungen fokussierte Erzählweise. Figuren tauchen zwar am Rand auf, wichtig ist jedoch immer seine Empfindung: Wie er das essen wahrnimmt, wie er den beschwerlichen Weg zum Bergwerk wahrnimmt und wie er sich schließlich – teilweise in Todesangst – durch das Bergwerk kämpft. Die Dunkelheit, die engen stellen, in denen man nur auf allen Vieren kriechen oder bis zu den Hüften im Wasser waten kann, haben einen gewissen Gruselfaktor. Die ständigen Selbstmordgedanken geben der Erzählung zudem etwas sehr Düsteres.
Auch wenn es in Murakamis Aufziehvogel nicht so gruselig zugeht, so gibt es doch eine Gemeinsamkeit zwischen den Protagonisten: Der Rückzug ins Dunkle, ins Innere, um ein Problem zu lösen. Während es bei Natsume das bedrohliche Bergwerk ist, ist es bei Murakami zwar nur ein Brunnen, aber auch hier ist zeitweise der Weg nach außen versperrt. Allerdings werden die Probleme bei Murakami durch Nachdenken und das Verrinnen der Zeit an sich gelöst, bei Natsume geht es mehr um die körperliche Erfahrung mit der Umwelt – und die Probleme sind am Ende nicht gelöst.
Abgesehen davon, dass Natsumes wenige Romane und Erzählungen, die ins Deutsche übersetzt werden, immer eine Empfehlung sind, ist Der Bergmann also auch für alle interessant, die – im Übertragenen Sinne – in die Tiefen und Niederungen abtauchen möchten. Leider sind die 220 Seiten viel zu schnell ausgelesen, leider wird am Ende nicht alles aufgelöst – aber das macht die Geschichte im dunklen Bergwerk umso geheimnisvoller.
Fazit
Düster und geheimnisvoll - und für alle, die sich gern zurückziehen, um sich selbst zu ergründen.Verfasst am 10. März 2018 von Friederike Krempin
Tags: Brunnen, Coming of Age, Selbstmord, Soseki Natsume