1888 erscheint Theodor Fontanes Roman Irrungen, Wirrungen, der von der unglücklichen Liebe zweier junger Menschen in Berlin erzählt, die aufgrund von Standesunterschieden nicht zusammenkommen können. Genau zur selben Zeit schreibt ein Japaner, der sich in Berlin aufhält, eine Erzählung, die ähnlich unglücklich ausgeht wie Fontanes Roman.
Ausgestattet mit einem Stipendium kommt Toyotarô zum Jurastudium nach Berlin. Eigentlich ist er konfuzianisch erzogen, das heißt er, ist es gewohnt, seinen Eltern und anderen Autoritäten bedingungslos zu folgen. Doch im pulsierenden Berlin der Kaiserzeit überkommt ihn auf einmal ein Freiheitsgefühl. Er verliebt sich in die 16-jährige Tänzerin Elis und zieht mit ihr notgedrungen zusammen, nachdem ihm die finanzielle Unterstützung gestrichen wird. Von seinen Landsleuten wird er vor die Wahl gestellt: entweder er bleibt in Berlin bei Elis oder er kehrt allein nach Japan zurück, wo ihm eine hohe Stelle in Aussicht gestellt wird.
Knapp und berichtartig fasst Ôgai Mori Toyotarôs Geschichte auf knapp 50 Seiten zusammen. Die restlichen Seiten beinhalten Abbildungen vom Berlin der Kaiserzeit, ein informatives Nachwort und einen Auszug aus Moris Deutschlandtagebuch (erschienen im Konkursbuchverlag).
Mori ist einer der wenigen Japaner, die im Zuge der Meiji-Revolution und der damit einhergehenden Modernisierungsbestrebungen Japans nach Deutschland geschickt werden, um die fremde westliche Kultur zu studieren und sich anzueignen. Man kann davon ausgehen, dass die in der Ich-Form geschriebene Novelle das Ballettmädchen in großen Teilen autobiographisch ist. Mori etabliert damit den Ich-Roman, der in Japan im folgenden Jahrhundert zu einem gängigen und beliebten Genre wird.
Fazit
Ein Japaner im wilhelministischen Deutschland um 1890 erzählt von einer unglücklichen Liebe und gescheiterter Emanzipation. Hochinteressant, aber leider viel zu kurz.Verfasst am 10. August 2010 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 18. August 2019