Bei Übersetzungen ins Deutsche steht die japanische Literatur in den letzten Jahren immer mit auf den Top-Plätzen, vor allem natürlich durch Manga-Übersetzungen. Das in Deutschland so beliebte Krimi-Genre geht nahezu leer aus. Die Liste aktueller Krimis aus und über Japan ist nicht nur überschaubar, viele davon stammen auch aus deutscher Feder – meist von Japanliebhabern und Fachleuten. Seit zwei Jahren ergänzt nun aber zum Glück der Atrium-Verlag mit Hideo Yokoyamas Veröffentlichungen die japanische Krimisparte in Deutschland.
Dies ist umso verwunderlicher insofern, als dass Yokoyamas Romane zwar durchaus brillant geschrieben, nicht aber unbedingt sofort zugänglich sind. Sein Deutschlanddebüt 64 umfasst fast 800 Seiten und ist vom Plot her ziemlich ungewöhnlich aufgebaut.
Ähnlich verhält es sich auch mit seinem neuesten Roman 50. Zwar ist dieser mit 368 Seiten deutlich kürzer, der Aufbau des Romans sowie der Mordfall selbst sind aber wieder ziemlich anspruchsvoll.
Anspruchsvoll ist 50 dabei keinesfalls, weil etwa beispielsweise die Handlung zu kompliziert wäre. Es gibt allerdings viel Japanspezifisches zu entdecken: Die Polizisten richten sich beispielsweise nach Presseterminen für die Morgen- und Abendausgabe (ja, es gibt in Japan noch eine gedruckte Abendausgabe bei den großen Tageszeitungen). Reporter arbeiten in ihrem Büro direkt im Polizeigebäude, sind durch sogenannte Presseclubs viel stärker mit der Polizei im gegenseitigen Austausch, als es bei uns der Fall ist. Dies alles wird allerdings nicht explizit erklärt und ist ohne Hintergrundwissen nicht selbsterklärend.
Deutlich wird beim Lesen nur, dass es fast ausschließlich um Hierarchien geht, und vor allem darum, das Gesicht zu wahren. So ist es wenig skandalös, dass Soichiro Kaji seine Frau erwürgt – das eigentlich Problem ist, dass er selbst Polizist ist. Um das Ansehen der Polizei zu wahren, wird der Fall mit oberster Priorität vorangetrieben. Sogar ein Serienvergewaltiger muss dafür zurückstehen.
Die Ermittlungsarbeit wird nun aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt: Vom Polizisten über den Staatsanwalt, den Journalisten, den Richter und schließlich den Gefängniswärter. Jeder scheitert auf seine Weise daran, das Motiv des Mörders aufzudecken – denn zur Gesichtswahrung für alle Beteiligten muss es verborgen bleiben.
Natürlich liefert Yokoyama am Ende doch noch eine Auflösung, die nicht nur klug, sondern auch sehr rührend ist. So hat der Mörder am Ende zwar sein eigenes Gesicht verloren, für die Polizei und die Gesellschaft aber alles gegeben.
Fazit
Ermittlungsarbeit auf Japanisch! Zwar zunächst nicht ganz eingänglich, am Ende wird man aber mit einem kunstvoll konstruierten Fall belohnt.Verfasst am 5. Juni 2020 von Friederike Krempin