Minako Ôba erzählt ihre Familiengeschichte über drei Generationen, beginnend bei ihren um die Meiji-Restauration (1868) geborenen Großeltern bis zu sich selbst im Nachkriegsjapan.
Die knapp 140 Seiten enthalten keine chronologische Familiengeschichte, sondern bestehen aus einzelnen, in sich abgeschlossenen Erzählungen. Diese lassen sich zu einem Bild über eine recht unkonventionelle Familie zusammenfügen. So ist beispielsweise der Großvater selbstbezogen, macht was er will und gerät ständig mit der Verwandtschaft aneinander. Als er mit seiner Geliebten einen Sohn zeugt, zieht er zu ihr, um sich um das uneheliche Kind zu kümmern.
Ôbas Mutter heiratet nach dem frühen Tod ihrer Schwester deren Mann, weil diese es sich kurz vor ihrem Tod so gewünscht hat. Obwohl sie in dieser Hinsicht eine sehr traditionelle Frau ist, besucht sie zugleich sogar noch als verheiratete Frau die Englischschule, trägt westliche Kleidung und liest ausländische Romane. Mit ihr kann Ôba sich über Literatur austauschen, während sie für ihren Vater, der nur auf die Mutter fixiert ist und als Arzt lange Zeit sowieso im Ausland lebt, als Kind nur ein lästiges Anhängsel ist.
Die Literatur wird für Ôba zum Rückzugsort, vor allem während des Krieges. Während die B-29 Bomber die Häfen bombardieren, muss sie sich im Kornfeld verstecken. Diese Zeit, in der sie natürlich vom Arbeitsdienst befreit ist, nutzt sie zum Lesen. Literatur ist es schließlich auch, die ihr nach dem Krieg Hoffnung auf ein besseres Leben macht, als ihre Lehrerin das Gedicht Tanze, Schneck, Tanz vorsingt.
Auch wenn es ab und an nicht ganz einfach ist, den Überblick über Ôbas Familienverhältnisse zu bewahren, lesen sich alle Episoden zusammengenommen wirklich spannend, denn sie umspannen eine Zeit, die voller Umbrüche und Widersprüche ist: Die Großelterngeneration spürt noch eine gewisse Aufbruchstimmung, während die Eltern die Widersprüche der Moderne erleben. Ôba selbst, die 1930 in Tôkyô geboren wird, erlebt Krieg als Alltag.
Es scheint fast, als wäre es einfacher für sie, über andere statt über sich selbst zu schreiben, denn den Großteil des Buches nimmt die Geschichte über ihre Großeltern und Eltern ein. So schreibt Ôba zwar über ihre Erlebnisse während des Krieges, dass sie aber sogar zu denjenigen gehört, die ls Arbeitsgruppe zum Aufräumen ins verwüstete Hiroshima gehen müssen, thematisiert sie nicht. Leider sind die 140 Seiten sehr knapp, sodass alle Schilderungen immer etwas kurz bleiben. Gerade über Ôba selbst hätte ich zum Schluss gerne doch noch mehr erfahren. Dem Nachwort zufolge wurde der ursprüngliche Text um ein Drittel gekürzt, dabei seien aber nur die Passagen weggelassen worden, die sich nicht auf Ôbas Familiengeschichte beziehen.
Fazit
Ein guter und kurzer Einstieg für alle, die mehr über das Leben in Japan zwischen 1870 und 1950 erfahren wollen.Verfasst am 16. Oktober 2019 von Friederike Krempin
Tags: Familiengeschichte, Frauen in Japan, Meiji-Zeit, Minako Oba, Zweiter Weltkrieg