Die Hochzeiten der japanischen Wirtschaft und damit auch der Japan Inc., einem mächtigen Wirtschafts- und Politiknetzwerk, das bis in fremde Länder hineinagiert, sind eigentlich vorbei. Aber was wäre, wenn dieses Netzwerk so mächtig wäre, dass es erneut einen Krieg vom Zaun brechen und Japan damit wieder zur Nummer 1 in Ostasien machen könnte?
Karl Pilnys Gedankenspiel um diese Verschwörung aus Japans Wirtschaftskreisen liegt aber nicht etwa wie viele Bücher zu diesem Thema wie etwa Rising Sun schon ein oder zwei Jahrzehnte zurück, sondern ist ziemlich aktuell. Die Romanhandlung beginnt am 1. Mai 2012 und bezieht damit also schon Japans wirtschaftliche Situation nach der Dreifachkatastropge vom 11. März 2011 mit ein. Glaubt man den Schilderungen im Buch, so steht Japan am wirtschaftlich am Abgrund und kann sich nur noch durch einen Krieg aus der Krise retten:
„Japan befindet sich nach dem Super-GAU von Fukushima im ungebremsten Niedergang. Wirtschaftlich und politisch. Außerdem hat das Land vor aller Welt sein Gesicht verloren. Einige Kräfte im Land sind sehr daran interessiert, diese Schande nicht auf sich sitzen zu lassen und jetzt in die Offensive zu gehen, um mit aller Gewalt Nippons alte Größe wiederherzustellen.“ (210, Herv. i. O.)
Während die Japan Inc. einen neuen Krieg plant, ist der britische Anwalt Jeremy Gouldens auf dem chinesischen Festland einer ganz anderen Spur auf dem Weg: Er sucht für einen Prozess nach Beweisen gegen den Kuroi Konzern, der eine dunkle Vergangenheit hat: Während des Zweiten Weltkrieges haben Mitglieder von Kuroi in der berüchtigten Einheit 731 in China Versuche an Menschen durchgeführt. Goulden ist damit der Japan Inc. ein Dorn im Auge. Da seine Ermittlungen zufällig zeitgleich mit einem geplanten Anschlag der Japan Inc. auf dem chinesischen Festland zusammenhängen und Gouldens Freundin – die er übrigens nach einem Streit auch noch zurückerobern muss – der Japan Inc. dadurch in die Finger kommt, kämpft Goulden auf einmal auch gegen die Japan Inc. Eine, zugegeben, etwas an den Haaren herbeigezogene Verknüpfung, hinterfragt man diese nicht, liest sich der Roman aber doch recht spannend.
Nicht alle Mankos des Romans kann man allerdings so leicht überlesen. Es bleibt zum Beispiel – Achtung Spoiler – die Frage offen, wie es Gouldens am Ende als einziger aus dem vollkommen zerstörtern Labor schafft. Der Autor löst dieses Problem, indem Gouldens in Bewusstlosigkeit fällt. Und so findet Gouldens, ganz in Heldenmanier, auch ohne Bewusstsein und Erinnerung den Weg nach draußen, heraus aus einem streng bewachten und gesicherten Areal. Kreativität sieht leider anders aus.
Was außerdem stört, sind die Stereotype, die bedient werden. Die Charaktere werden recht deutlich schwarz oder weiß gemalt, die Figuren wirken künstlich, wie zum Beispiel die Beschreibung Gouldens Freundin zeigt:
„Obwohl sie nebenher noch einen eigenen Internetblog unterhielt und als freie Rechercheurin für westliche Medien arbeitete, absolvierte sie ihr Studium zwei Semester unter der Regelstudienzeit. Nach ihrer Rückkehr in die Staaten hatte Cathy ein Angebot der Los Angeles Times vorgefunden und sich voller Enthusiasmus ins Reporterleben gestürzt. Mit ihrem umfangreichen Hintergrundwissen, ihrer freundlich-bestimmten Hartnäckigkeit und ihrem blendenden Aussehen hatte sie einige aufsehenerregende Storys ausgraben können. Als sich ihr dann vor zwei Jahren die Chance geboten hatte, für das namhafte Vanity-Fair-Magazin in dessen neu eröffentes Büro in Shanghai zu wechseln, hatte sie keine Sekunde gezögert.“ (36f., Herv. i. O.)
Daneben, dass eigentlich alle Figuren – auf der Seite der guten und Protagonisten – erfolgreich, schön und reich sind, werden auch die Geschlechterstereotype gut bedient.
„Naja, sie kann mitunter ganz schön anstrengend sein.“
„Du meist – sie ist eine Frau.“
Jeremy lächelte. Das war Richard. […] Die scheinbar verzwicktesten Probleme konnte er schnell auf die einfachsten Grundfakten zurückführen. (30)
Aber es wäre falsch, von Japan Inc. einen hochtrabenden Roman zu erwarten. Das Buch will vielmehr unterhalten und leichte Kost sein – und beides schafft es auf über 700 Seiten auf jeden Fall. Zudem bringt Pilny viel Wissenswertes über das japanische Machtgeflecht (basierend auf einer Analyse von Karel von Wolferen von 1989, die übrigens immer wieder diskutiert wird), die japanisch-chinesischen Verhältnisse, das Nanking-Massakker sowie die Menschenversuche der Einheit 731 in den Roman mit ein.
Japan Inc. ist sprachlich und belletristisch sicher nicht der große Wurf, aber der Thriller ist unterhaltsam und spielt ein spannendes Zukunftsszenario durch, das beim Lesen des Thrillers auf einmal gar nicht mehr so weit entfernt scheint.
Fazit
Sowohl sprachlich als auch von der Handlung her etwas seicht, dafür aber mit sehr aktuellem Zeitbezug.Verfasst am 24. Februar 2014 von Friederike Krempin
Tags: Einheit 731, Nanking