Der Abwurf der Atombombe auf Japan bewegt nicht nur die direkten Opfer, sondern auch nachfolgende Generationen. Auch wenn der aus Nagasaki stammende Autor Yûichi Serai erst 13 Jahre nach dem Abwurf der Atombombe geboren wurde, das Thema beschäftigt auch ihn und zieht sich durch alle sechs Erzählungen von Ground Zero Nagasaki.
Drei Motive sind in allen Erzählungen enthalten: Sie spielen in und um Nagasaki, also an Orten, die durch die Atombombe zerstört wurden oder am Rand der Zerstörung lagen. Die Protagonisten im Buch sind außerdem alle – mehr oder weniger – gläubige Christen. Daraus ergibt sich auch eine andere Perspektive auf die Atombombe als beispielsweise im Erfahrungsbericht Atomic Bomb Victims on Ninoshima (Hiroshima): Nicht die Wut auf die Amerikaner, sondern die Frage
danach, wieso Gott dies zulassen konnte, steht im Vordergrund. War Gott zu, Zeitpunkt des Abwurfs der Atombombe mit anderen Dingen beschäftigt? Ist die Atombombe eine Strafe für einen Fehler der Bürger Nagasakis? Und warum kann Gott es verantworten, dass durch die Hand von Gläubigen (Amerikanern) andere Gläubige (Japaner) sterben?
Die Protagonisten nehmen dazu ganz unterschiedliche Haltungen ein – vom starken Festhalten an den Glauben bis hin zur Desillusionierung:
„Gott sieht uns.“
„Er existiert nicht.“
„Wieso sagen Sie das, Herr Sasaki, wieso …?“
„Alle, die den Krieg überlebt haben, wissen das. Du weißt es auch, du hast doch auch die Atombombe erlebt.“ (74)
Die Atombombe schließlich ist nicht in jeder Geschichte das Hauptthema, wird aber immer mindestens in einem Nebensatz erwähnt. Und so sind die Erzählungen auch nicht alle Erzählungen aus der Trümmerwüste Nagasakis, sondern spielen Jahrzehnte danach.
Da gibt es zum Beispiel das ältere Ehepaar, das unglücklich ist über ihren psychisch kranken und notorisch eifersüchtigen Sohn. Nachdem die Ehe ihres Sohnes daran zerbricht, zieht er zurück zu seinen Eltern, in einen alten Schuppen, in dem schon die Tante wohnte, als ihr Dorf durch die Atombombe zerstört wurde.
Eine gelangweilte Hausfrau dagegen plant einen Ehebruch. Die einzige Möglichkeit, die sich ihr dazu bietet, ist die Zeit, in der ihre Schwiegereltern aus dem Haus sind – und das ist ausgerechnet die Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki.
Nicht alle Figuren haben also einen direkten Bezug zur Bombe:
„Ich sage nichts. Da ich in der Nähe des Bombenzentrums wohne, habe ich hin und wieder solche Geschichten gehört, aber es ist alles schon so lange her, das [sic] für mich diese Geschichten den hiesigen Volkssagen ähneln, so wie die Geschichte von der Vertreibung der Christen.“ (162)
Es gibt aber auch die Geschichten der direkt Betroffenen, etwa eines Mannes, der als Neugeborener in den Ruinen Nagasakis aufgelesen wurde und dessen Herkunft nie ermittelt werden konnte:
„Vielleicht habe ich die Atombombenkatastrophe mit eigenen Augen gesehen, aber da ich mich an nichts erinnere, kann ich nichts damit anfangen.“ (180)
Schließlich bleibt nur eine Geschichte, in der eine Frau direkt von ihren Erlebnissen vom 9. August 1945 erzählt. Durch die Bombe hat sie eine Beinverletzung, die sie ihr Leben lang zeichnet und es ihr – wie übrigens anderen Atombombenopfern auch – schwer macht, einen Partner zu finden.
Anders als Schwarzer Regen, Atomic Bomb Victims on Ninoshima oder Barfuss durch Hiroshima, gehen Yûichis Erzählungen über die direkten Erfahrung mit der Atombombe hinaus und zeigen, wie das Thema auch für die nachfolgenden Generationen – zu ganz unterschiedlichen Graden – immer noch latent im Alltagsleben mitschwingt.
Fazit
Die Atombombe auf Nagasaki und ihre Auswirkungen auf das Leben nachfolgender Generationen.Verfasst am 3. April 2014 von Friederike Krempin
Tags: Atombombe, Atomkraft, Christentum, Nagasaki