Dieser Sammelband enthält bisher in Deutschland unveröffentlichte Prosa Prosa von Akutagwa: Von ganz kurzen, zweiseitigen Momentaufnahmen bis zu längeren Prosastücken ist wieder alles dabei. Das Buch zeigt sich damit wieder so vielseitig wie der Sammelband Rashomon.
Es ist schwer, diese Prosasammlung zusammenfassend zu charakterisieren. Chronologisch geordnet enthält sie ganz unterschiedliche Stücke, angefangen von einer Schilderung des Sumida aus dem Jahr 1912 bis zu Der Mann aus dem Westen, das Akutagawa in der Nacht vor seinem Tod 1927 fertigstellte.
Die Erzählungen bieten einen Querschnitt durch das Werk, verdüstern sich aber Parallel zu Akutagawas psychischen Leiden immer mehr, werden manchmal sogar richtig grotesk und surreal.
Geisterhaft-geheimnisvolle Erzählungen um eine Japanerin in Shanghai, die aus der Macht einer indischen Hexe befreit werden muss, gibt es schon früh (Agni, der Feuergott, 1920). In Pferdebeine (1925) wird ein Mann versehentlich ins Totenreich gerufen und muss, weil seine eigenen Beine schon verwest sind, mit Pferdebeinen zu den Lebenden zurückkehren. Ob er wirklich Pferdebeine hat oder der Mann doch nur unter Wahnvorstellungen leidet bleibt offen. Endgültig die Grenze zwischen Realität und Traum überschreitet Akutagawa mit Der Traum (1927), in dem für den Leser – und auch den Erzähler selbst – nicht mehr klar ist, was der Erzähler erlebt und was phantasiert.
Auch das große Beben von 1923 beschäftigt Akutagawa in vielen kürzeren Stücken, die die Zerstörung widerspiegeln (zum Beispiel Das Piano, 1925). Am deutlichsten setzt sich Akutagawa mit den Auswirkungen des Bebens in einer Skizze über das Viertel Honjo, in dem er als Kind gewohnt hat, auseinander. Für eine Zeitung besucht er das Viertel und schreibt seine Eindrücke nieder, die fast nur negativ sind: Das frühere Leben im Viertel scheint ausgelöscht, die alten vertrauten Gebäude gibt es nicht mehr.
Nicht alle Geschichten sind so leicht zugänglich. Insbesondere die letzte Aufzeichnung Der Mann aus dem Westen, in dem Akutagawa sich mit dem Christentum und Jesus auseinandersetzt. Seine letzten pathetischen Worte dazu: „Wie die Wanderer von Emmaus verlangt es uns nach einem Christus, der unsere Herzen entflammt.“
Fazit
Gemischte Erzählsammlung, die durch eine ausführliche Einleitung guten Zugang zu den einzelnen Texten bietet.Verfasst am 29. August 2011 von Friederike Krempin
Tags: Erdbeben 1923, Geisteskrankheit, Zwischen Tradition und Moderne