Mit 574 Seiten ist die Flucht der bisher umfangreichste Roman, der von Fuminori Nakamura ins Deutsche übersetzt wurde. Ob mehr Umfang aber auch zugleich mehr Lesevergnügen bedeutet, lässt sich stark anzweifeln.
Zunächst scheint die Geschichte simpel: Kenji Jamamine, ein linker Journalist, gelangt in den Besitz einer sagenumwobenen Trompete, die im Zweiten Weltkrieg einem japanischen Korps allein durch ihren Klang den Sieg über die Amerikaner ermöglicht haben soll. Seitdem sind verschiedene Gruppen auf der Suche nach dem Instrument, um dessen magische Funktion für ihre Zwecke zu nutzen. Kenji kann die Trompete als erster in Vietnam finden und begibt sich mit ihr auf die Flucht.
Der Roman beginnt in Köln, wohin Kenji mit der Trompete geflohen ist. Gleich zu Beginn wird Kenji bedroht und verfolgt. Nakamura nimmt der Geschichte jedoch schnell wieder den Wind aus den Segeln. Zahlreiche Rückblenden beschäftigen sich nicht nur damit, wie Kenji die Trompete erlangt hat, sondern erzählen die Liebesgeschichte zwischen ihm und der Vietnamesin Anh. Hinzu kommen viele weitere Einschübe, in denen Nalamura seine Figuren über Dialoge und Briefe nicht nur die aktuelle politische Lage Japans, sondern gefühlt auch die aktuelle und historische Lage der Welt diskutieren lässt.
Themen sind darunter beispielsweise: Religion, insbesondere das Christentum, die Christenverfolgung in Japan im 17. Jahrhundert, Kunstwerke, Fremdenfeindlichkeit in Japan und der politische Rechtsruck in Japan. Durch den Aufenthalt von Kenji in Deutschland findet zudem auch in einigen Themenbereichen eine detaillierte Auseinandersetzung mit Deutschland statt, etwa als Kenji das KZ Dachau besucht und die Funktionsweise der Gaskammern beschreibt.
Kenjis detaillierter Blick auf Deutschland ist sicher auch ein Grund dafür, warum dieser Roman für die deutsche Übersetzung ausgewählt wurde. Schaut man sich die Themenwahl und deren verschachtelte Verflechtung an, so wird es jedoch schwer, im Roman den roten Faden zu behalten.
Auch auf der Hälfte war mir immer noch nicht klar, was der Roman sein will. Ein Action-Thriller über eine gestohlene Trompete? Eine in einen Roman verpackte Gesellschaftskritik des aktuellen Japans? Oder doch eine tragische Liebesgeschichte? Vermutlich ist es von allem ein bisschen. Die Flucht wirkt damit wie eine Art Lebenswerk, mit dem der Autor nicht nur versucht, für ihn wichtige Themen zu setzen, sondern diese auch dramaturgisch auf kunstvollem Niveau miteinander zu verknüpfen.
So kann man in den Roman sicher viel hineinlesen. Man kann die Trompete beispielsweise als Symbol der Propaganda verstehen. Man kann nach dem, was alle Themen verbindet suchen und zu dem Schluss kommen, dass Nakamura sowohl aktuelle Themen als auch historische Themen auswählt, um daran etwas bestimmtes aufzuzeigen.
Man kann den Roman aber auch einfach nur zu Unterhaltungszwecken lesen und zu der Entscheidung kommen, ihn abzubrechen, weil man sich nicht weiter durch eine Geschichte „durcharbeiten“, sondern einfach einen unterhaltenden Roman genießen will. So habe ich es bei diesem Buch gehalten und es nach der Hälfte zur Seite gelegt.
Fazit
Die Flucht ist keine leichte Kost, sondern eher für alle geeignet, die sich gerne durch einen anspruchsvollen Roman durcharbeiten möchten.Verfasst am 14. April 2024 von Friederike Krempin
Tags: Deutschland, Fremdenfeindlichkeit, Fuminori Nakamura, Politik, Rassismus, Vietnam, Zeitgeschehen in Japan, Zweiter Weltkrieg