Auch wenn der Titel etwas von Ruhe suggeriert, ganz ohne sind die Geschehnisse in diesem Buch nicht: Ôe, der aufgrund einer Krise, wie er es nennt, mit seiner Frau auf Einladung einer Universität für eine Weile nach Amerika geht, lässt seine beiden Kinder mit ihrem älteren, geistig behinderten Bruder I-Ah zurück.
Was seine Kinder in dieser Zeit erleben, erzählt Ôe aus der Perspektive seiner Tochter Mâ, die sich für die Zeit die Verpflichtung auferlegt, sich um I-Ah zu kümmern. Mâ steht – wie es die Figuren in Ôes Roman so oft tun – einer bedrohlichen Welt gegenüber, in der sie Sittenstrolchen, einem übergriffigen Schwimmlehrer, Krankheit und anderen Problemen begegnet.
Ôe, der in Stille Tage nicht körperlich anwesend ist, tritt doch immer wieder auf: Mâ reflektiert über ihn, seine Krise und ob es richtig war, sie allein zurückzulassen. So kann sich Ôe, der in seinen Büchern ganz im Stil des japanischen Ich-Romans seine persönlichsten Probleme verhandelt, aus Distanz reflektieren und durch die Augen seiner Tochter kritisieren.
Neben Ôes Krise, die latent im Hintergrund mitschwingt, geht es aber vor allem wieder um I-Ah, Ôes geistig behinderten Sohn, dessen Geburt er in Eine persönliche Erfahrung verarbeitet hat. I-Ah ist nun „erwachsen“, ist aber immer noch auf die Hilfe von Mâ angewiesen. Insofern thematisiert dieses Buch auch generell, wie I-Ah ohne seine Eltern zurechtkommen soll.
Auch wenn gleich das erste Kapitel recht spannend einsteigt, enthält das Buch doch größtenteils sehr langatmige Passagen: Es wird viel, fast zu viel über alles reflektiert und auch zu viel diskutiert. Gegenstand dieser Diskussionen und weitschweifigen Erläuterungen sind Filme und Bücher, die von den Figuren im Buch durch ihre Diskussion quasi rezensiert werden.
Stille Tage ist ein einfaches, nüchternes Buch mit alltäglichen Geschichten. Es offenbart zwar in einer Intensität die intimsten Vorgänge in Ôes Familie, wie wir das von deutschen Autoren eher nicht kennen, ist aber im Grunde nur für Ôe-Fans zum Lesen geeignet, die seine bisherigen Bücher und seine Biographie kennen.
Fazit
Ein sehr persönliches Buch, das Einblicke in Ôes Familienleben gibt.Verfasst am 19. Dezember 2010 von Friederike Krempin
Tags: Behinderung, Kenzaburo Oe, Krise, Nobelpreisträger