Amrita

Amrita



アムリタ

Wie so oft bei Yoshimotos Büchern ist Amrita inhaltlich kein vollkommen neuer Roman, sondern sie variiert in ihm ihre typischen Themen wie Verlust, Lebenskrisen und übernatürliche Erlebnisse. Mit rund 500 Seiten ist Amrita aber Yoshimotos umfassendster Roman, in dem – wie in einem Schmelztiegel – alles zusammenfließt, was ihr Werk bis zu diesem Zeitpunkt ausmacht.

Sakumi, die Protagonistin von Amrita, ist in einer ähnlichen Situation wie Mikage aus Yoshimotos Erstlingswerk Kitchen: eine enge Familienangehörige, ihre jüngere Schwester, ist gestorben und sie muss diesen Verlust nun überwinden. Doch ehe sie das richtig schafft, fällt sie auf den Kopf und verliert ihr Gedächtnis und muss sich ihre Identität mühsam neu erarbeiten.

Sakumi zieht sich in die schützende Athmosphäre ihrer Familie zurück, die zusammengewürfelt ist aus ihrer Mutter, ihrem Bruder und diversen Freunden und entfernten Verwandten, die immer mal wieder abwechselnd bei ihnen wohnen. Ähnlich wie bei N.P. lässt sie sich schließlich auch mit dem Exfreund ihrer verstorbenen Schwester ein. Sakumi muss aber nicht nur sich selbst zurück in die Lebenswelt helfen, sondern ihrem Bruder zur Seite stehen, der gerade erwachsen wird.

Und an dieser Stelle wird es doch etwas okkult, denn er kann zum Beispiel andere Leute im Traum besuchen und Ereignisse vorhersehen. Gemeinsam mit dem Exfreund ihrer Schwester und ihrem Bruder (der mit 11 Jahren einfach mal die Schule schwänzen darf!) fliegt sie auf die exotische Insel Saipan und lebt dort in bester New-Age Manier mit Menschen zusammen, die in ihrer Vergangenheit Schreckliches erlebt, aber dafür ein Gespür für Geister und das Übernatürliche haben.

Die Bewältigung der doppelten Lebenskrise – Identitätsverlust und dann Akzeptanz der wiederkehrenden Erinnerungen – geschieht in Yoshimoto-typischem Verfahren: Die Protagonisten des Romans sind allesamt ziemlich unberührt von ihrer Umwelt, das heißt, sie arbeiten nur sporadisch und haben genügend Zeit, in der sie sich mit allem zu beschäftigen scheinen außer ihren wirklichen Problemen. Yoshimoto lässt ihren Charakteren viel Zeit zur Entwicklung und erzählt deshalb auch mit einer Ruhe, die viele als handlungsarm charakterisieren würden. Trotzdem setzt aber irgendwann – für Protagonisten und Leser zunächst unsichtbar – ein Heilungsprozess ein.

Insgesamt liest sich der Roman insgesamt etwas planlos, wie ein konzeptloses Aneinanderreihen von Episoden ohne Handlung und große Bedeutung. Auch Sakumi selbst reflektiert am Ende über ihren Roman und sieht darin wenig Sinn – lässt trotzdem aber alles aber genauso stehen, wie es ist. Dieser Umstand bedeutet nicht etwa Planlosigkeit von Yoshimoto, sondern ist vielmehr Ausdruck einer allgemeinen, tiefen Verunsicherung an.

Yoshimotos Romane drücken eine prinzipielle Verunsicherung aus, die wir heute alle irgendwie empfinden. In Amrita wird dieser Verunsicherung nicht mehr mit Rationalität und Aktionismus, sondern Rückzug und New-Age-Mystik begegnet. Gerade dass sich der Roman aber so unrational viel zeit zur Klärung wichtiger Fragen lässt, dass er auch Spielräume für Abwegiges gibt, macht ihn so erholsam: er schafft damit imaginierte Freiräume, die uns die Wirklichkeit nicht ermöglicht.

Fazit

Ein wundervoller Roman für alle, die auf der Suche nach sich selbst sind. Yoshimoto gibt die beruhigende Antwort: Du findest dich erst, wenn du aufhörst zu suchen.

Verfasst am 20. Mai 2011 von
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 23. August 2019

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