Es gibt Menschen, die überall auffallen, weil sie anders sind. Und es gibt Menschen, die so anders sind, dass sie gar nicht mehr auffallen – wie Katze, der seit seinem sechsten Lebensjahr immer wieder dem Weizenstampfer Kuhtse begegnet.
Katze, der seinem Spitznamen dem Umstand verdankt, dass er genau wie eine Katze miauen kann, wächst in einer kleinen Hafenstadt auf. Zusammen mit seinem Vater, einem eher mäßigen Mathematiklehrer, und seinem Großvater, der als Musiker in der neuen Stadt ein Orchester aufbaut, kam er direkt nach seiner Geburt aus einem fremden Land in die Hafenstadt.
Katze erzählt in rückschauender Perspektive seine Lebensgeschichte, beginnend mit seinem 6. Lebensjahr, als er in seiner Fantasie zum ersten Mal Kuhtse begegnet. Seitdem begleitet ihn das rhythmische Stampfen des Bauers auf dem Weizenfeld in seinem Kopf. Es ist aber nicht nur dieses Stampfen, das sein Leben rhythmisch begleitet: Bei Katze zeigt sich immer mehr ein Gespür für die Musik und so verlässt er die kleine Hafenstadt bald, um sich als Musiker ausbilden zu lassen.
Kuhtse der Weizenstampfer erzählt nicht nur den Bildungsweg eines Musikers, in diesem Roman steckt noch viel mehr. Vor allem ist dieser Roman auch ein Roman vom Anders- und Fremdsein. Katze sticht nicht nur durch seine Katzenimitationen hervor, er ist auch körperlich so groß, dass er schon in der Grundschule zum Außenseiter wird. Er wird nicht gehänselt, er existiert nur einfach nicht.
„Große Dinge fallen auf. […] Aber wenn sie zu groß sind, werden sie manchmal unsichtbar.“ (41)
Doch Katze bleibt nicht allein, sondern lernt mit der Zeit andere Menschen kennen, denen es ähnlich geht wie ihm: Zum Beispiel den „Schmetterlingsmann“, einen blinden Boxer, der ein großes Schmetterlings-Tattoo auf dem Rücken trägt. Oder seinen Musiklehrer, der seit einem Unfall in seinem kindlichen Körper steckengeblieben ist.
Katze ist nicht nur selbst anders und umgibt sich mit besonderen Menschen, er hat auch ein Gespür für merkwürdige Ereignisse, die in der Welt geschehen. So sammelt er Zeitungsausschnitte und bringt diese miteinander in Verbindung:
„Die Festnahme eines Einbrechers, der sich als Frau verkleidet hatte. In derselben Nach brannte das Vereinsgebäude eines Männerclubs komplett nieder und in der Brandruine entdeckte man eine große Menge von Frauenkleidern und Schmuckimitaten.“ (92)
Ähnlich wie bei Murakamis Charakteren verwischen auch bei Katze die Grenzen zwischen der Realität und weiteren Wirklichkeitsebenen. So klingt es dann auch gar nicht mehr verwunderlich, als plötzlich Mäuse vom Himmel fallen und Katze diese Plage mit seinem Miauen verjagen soll.
Katze ist auf der Suche – nicht nur nach einer Verwirklichung in der Welt der Musik, sondern auch nach seinen Wurzeln. Ähnlich wie Kafka Tamura in Murakamis Kafka am Strand kennt er seine Mutter nicht und erhält von seinem Vater und Großvater auch keine Informationen über sie. Und ähnlich wie in Kafka am Strand lebt Katze in einer irgendwie eigenen, ruhigen und doch herrlich bezaubernden Welt.
Trotz dieser Parallelen ist Kuhtse der Weizenstampfer, der übrigens im selben Jahr wie Kafka am Strand entstand, ein Roman mit ganz eigenem, frischen Stil. Nicht nur Murakami-Leser werden deshalb verzaubert sein, auch für alle anderen ist der Roman eine ganz besondere Neuentdeckung und eine Reise in eine Welt, die so weder in Deutschland noch Japan und zugleich doch überall existiert.
Fazit
Die großen, vielschichtigen Romane lassen sich nur schwer in einen Satz fassen! Kuhtse der Weizenstampfer ist solch ein Roman.Verfasst am 9. März 2013 von Friederike Krempin
Tags: Außenseiter, Identitätssuche, Kindheit und Jugend, Parallelwelt, Verträumt