Nach rund 6 Jahren ist es endlich so weit: Milena Michiko Flasar, die sich mit Ich nannte ihn Krawatte einen Namen machte, hat ein weiteres Buch veröffentlicht, in dem sie in ruhigen Worten von Japan erzählt. Kann sie damit an den vielgelobten Vorgänger anschließen?
Wieder ist Japan ein Thema bei Milena Michiko Flasar, und wieder geht es um auf den ersten Blick nur wenig sichtbares, aber doch gar nicht so seltenes Problem: Herr Katô war in seinem Job erfolgreich und hochangesehen, nun ist er Rentner und weiß nichts mehr mit sich anzufangen. Das bringt nicht nur ihm Stress, sondern auch seiner Frau, die ihren Mann nicht ständig zu Hause erträgt.
Flasars Erzählweise ist wie schon bei Ich nannte ihn Krawatte sehr ruhig und konzentriert sich vor allem auf die Gedankenwelt von Herrn Katô. Diese ist oft allerdings sehr abgehackt. Man muss sich oft konzentrieren, um Herrn Katô zu folgen und alles wirklich wahrzunehmen, was mit wenigen Worten gesagt wird:
Und er wählt die Nummer, seine Frau hat sie mit Klebeband unterhalb der Tastatur befestigt, und sagt: „Hallo. Hier spricht. Alles okay, keine Sorge. Gerade nimmt sie ein Bad. Nein, kein bisschen, man kennt das ja. […]“, und dergleichen mehr, wobei es ihm vorkommt, als ob an seiner statt jemand anderer spräche, er im Grunde seines Herzens sagt: „Das wird nicht mehr.“ (138)
Gerade zu Beginn des Buches habe ich diese Aneinanderreihung an kurzen Sätzen, Beobachtungen und Andeutungen als sehr anstrengend empfunden. Herr Katô spielt Familie öffnet sich erst langsam, wenn die Geschichte voranschreitet. Dann geht es nämlich nicht mehr nur um Herrn Katôs Innenleben, sondern seinem neuen Nebenjob: Er wird engagiert um Familie mit Leuten zu spielen, die sonst keine mehr haben.
Er tritt als Opa für einen Jungen auf und verbringt mit diesem einen schönen Tag. Er lässt sich von einer Frau beschimpfen und unterschreibt ihr daraufhin die Scheidungspapiere. Er macht den Gastredner auf einer Hochzeit und beglückwünscht seinen Angestellten zu seiner neuen Frau. Hinter all diesen Gegebenheiten stecken meist traurige Schicksale. Herrn Katô aber helfen sie, sich in seinem neuen Leben einzufinden.
Flasar gestaltet hier im Kleinen rührende, aber keineswegs zu anrührende Geschichten. Wer sich auf Herrn Katôs Gedankenwelt einlässt, der wird viel Freude mit diesem Buch haben, aus dem man sehr viel herausholen kann, wenn man sich auf die besondere Erzählweise einlässt.
Fazit
Ein einfühlsames Buch darüber, sich in einem neuen Lebensabschnitt zurechtzufinden und ihn mit Sinn zu füllen.Verfasst am 30. April 2018 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 12. August 2019