Osamu Dazai scheint faszinierend und tragisch zugleich. Genau wie seine Zeitgenossen Akutagawa Ryûnosuke, Yukio Mishima und Kawabata Yasunari hat auch er sein Leben durch Selbstmord beendet – allerdings erst nach mehreren gescheiterten Selbstmordversuchen, zwischen denen noch eine kurze Schriftstellerkarriere stand.
Inspiriert von japanischen Literaten wie Akutagawa Ryûnosuke, aber auch vom westlichen Ästhetizismus, entwickelt Dazai eine feine, ironische, oft auch düster-melancholische Erzählweise. Einspruch der Dekadenz vereint wie ein Panorama seines Schaffens verschiedene Erzählungen und Kurzgeschichten zwischen 1934 und 1946.
Die Geschichten sind alle sehr unterschiedlich, von umfangreich bis kurz, von eher autobiografischen Erzählungen aus der Kindheit über eine historische Erzählung bis zu einer kleinen „Mordgeschichte“ (der Verbrecher. Manche Geschichten sind in ihrem Erzählfluss kontinuierlich, andere stark fragmentarisch, essaiistisch und ohne Hintergrundwissen nur schwer zugänglich.
Auch die Sprache erschwert den Zugang zum Buch ungemein. Teilweise – ein bestes Beispiel ist gleich die erste Erzählung im Buch – ist die Sprache sehr umständlich. Ob sie damit versucht, Dazais Sprachstil vom japanischen ins Deutsche zu transferieren, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall ist es aber eine umständliche, sehr gekünstelte Sprache.
Richtig Spaß macht das Lesen also nur, wenn man sich erstens an die Sprache gewöhnen kann und zweitens sich genauer mit dem Künstler selbst beschäftigen möchte. Allerdings gilt dies nicht für alle Erzählungen des Buches. Einige zeigen durchaus Dazais Erzählkunst und sein feines ästhetisches Gespür. Einige Geschichten sind auch müheloser zu lesen als die anderen und ziehen einen sofort in den Bann.
Zu diesen Geschichten gehört unter anderem der Verbrecher: ein Mann gerät in einen Streit mit seiner Schwester, sticht mit dem Messer auf sie ein und flieht. Im Glauben daran, dass er sie getötet hat, steigert er sich in einen Wahn und bringt sich selbst um. Die Schwester entkommt lediglich mit einer Verletzung am Arm. Sie kann den Selbstmord ihres Bruders nicht verhindern, der – so kommentiert es der Erzähler fatalistisch – einfach nur „töricht“ und „dumm“ ist.
Auch die Erzählung Er ist nicht mehr der, der er früher einmal war kann trotz ihrer umständlichen Sprache überzeugen. Ein reicher Lebemann vermietet sein Haus an einen Mann, der so dreist ist, ihm gleich zu Beginn zu eröffnen, dass er die Miete nicht zahlen kann. Der Lebemann kann sich gegen seinen dreisten Mieter nicht wehren und lässt ihm vieles durchgehen: er erkennt sich selbst in diesem Tagträumer wieder. Letztlich entlarvt sich der Lebemann durch seine Erzählung selbstironisch als Müßiggänger, der sich von seinem Mieter nur dadurch unterscheidet, dass er Geld hat.
In der Erzählung Erinnerungen erzählt Dazai autobiografisch von seiner eigenen Kindheit, die durch Einsamkeit geprägt ist. Als Kind ist der Erzähler ein Außenseiter, der dies aber auch irgendwie verdient zu haben scheint: er lügt und erschummelt sich seine Leistungen und holt sich sexuelle Zuneigung vom Kindermädchen, weil er keine elterliche bekommt. Alles in allem ist diese Geschichte sehr beklemmend und verstörend, Sexualität und Gefühle werden hier nicht offen verhandelt sondern immer wieder unterdrückt.
In Dazais Erzählungen sind es oft kleine Andeutungen, auf die man achten muss, um die Erzählung richtig zu verstehen. Dass der Lebemann dem Mieter unterlegen sein wird, zeigt sich zum Beispiel schon gleich zu Beginn, als er gegen ihn immer wieder im Schach verliert. Dafür muss man sich für Dazais Erzählungen aber auch Zeit nehmen. Nicht alle sind unbedingt zugänglich, aber ein kleiner Einblick in ein paar Erzählungen des Buches lohnt sich auf jeden Fall.
Fazit
Schwer zu verdauende, literarisch und sprachlich anspruchsvolle Kost, die wohl nur die begeistern wird, die sich für Literatur von Dazai Osamu oder dessen Zeit interessieren.Verfasst am 28. April 2011 von Friederike Krempin
Tags: Ästhetik, Einsamkeit, Osamu Dazai