Kenzaburo Ôe ist bekannt dafür, dass er in seinen Werken autobiografische mit fiktionalen Elementen vermischt. So auch in diesem Buch, in dem er das Erlebnis der Geburt seines behinderten Sohnes und die damit verbundenen Probleme und Ängste verarbeitet.
Es scheint sehr hart und grausam, was der 27-jährige Hauptdarsteller Bird innerhalb weniger Tage durchlebt: unerwartet stellt sich bei der Geburt heraus, dass sein Kind an einer Gehirnhernie leidet. Um der Mutter den Schrecken zu ersparen wird ihr das Kind vorenthalten und sofort in eine Spezialklinik gebracht. Hier soll es von verdünnter Milch und Zuckerwasser ernährt werden, um ihm „die Chance“ zu geben, einfach von selbst zu sterben.
Bird wartet nun auf den Tod seines Kindes, doch das ist erstaunlich zäh und scheint weiterleben zu wollen. Er flüchtet sich zu einer Freundin, mit der er eine wilde Affäre beginnt, während seine Frau im Krankenhaus liegt. Je mehr Zeit vergeht, desto stärker flüchtet Bird aus der realen Welt – doch desto dringender wird auch eine Entscheidung seinerseits: soll das Kind die wichtige Operation bekommen oder soll es „beseitigt“ werden?
Der Leser erlebt durch die vielen geschilderten Sinneseindrücke und Birds Gedanken dessen Erfahrungen hautnah mit. Bird ist kein starker Mensch, der nach ethischen Prinzipien handelt, sondern vielmehr egoistisch und feige. Infolgedessen erscheinen Birds Gedanken vom seinem „Monster-Baby“ dem Leser vielleicht erschreckend, machen den Roman dadurch aber ehrlich. Indem Bird sich mit seinen psychischen Abgründen auseinandersetzt, gelingt es ihm schließlich, für sich eine Lösung zu finden und Verantwortung zu übernehmen.
Das Buch schildert eine zutiefst intime und persönliche Erfahrung Ôes. Beachtet werden muss aber, dass der Roman zwar autobiografische Wurzeln hat, die Figur des Bird aber eine künstliche Erfindung Ôes ist und deshalb nicht eins zu eins seine Gedanken wiedergibt. Trotzdem bietet „eine persönliche Erfahrung“ eine authentische und vielschichtige Auseinandersetzung mit einem Thema, mit dem man sich meist nur auseinandersetzt, wenn es wirklich akut wird.
Im Gegensatz zu Ôes nüchterneren Werken wie zum Beispiel Reißt die Knospen ab ist dieser Roman ruhelos, sind die Szenen grotesk überzeichnet. Bird bewegt sich wie einem Fiebertraum und flüchtet sich immer mehr in eine unreale Welt voll Scham, Reue, aber auch sexueller Begierde, Lust und schließlich Verzweiflung. Der viel zu harmonische Schluss wirkt schließlich genauso irreal wie Birds Reise durch seine psychischen Abgründe.
Fazit
Eine im wahrsten Sinne des Wortes "persönliche Erfahrung": erschreckend, aufwühlend, betroffen machend. Man ist hautnah dabei, möchte sich aber zugleich distanzieren.Verfasst am 30. April 2010 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 22. August 2019