Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, Yoko Ogawa. Es gibt japanische Autoren, von denen alle ein bis zwei Jahre ein neues Buch in Deutschland veröffentlicht wird. Und gerade bei diesen Autoren wissen wir vorher oft schon ungefähr, was uns im neuen Roman erwarten wird. Auch bei Yoko Ogawas neuestem Buch Der Herr der kleinen Vögel ist dies der Fall.
Yoko Ogawa ist bekannt für ihren ruhigen Erzählstil. Ihre Protagonisten führen meist ein genauso ruhiges, von der Außenwelt relativ isoliertes Leben. Sie sind alleine, aber nicht unbedingt einsam. Sie bewohnen eine kleine, unscheinbare Nische und haben sich darin gut eingerichet.
Eine Variation von „Schwimmen mit Elefanten“
Auch die Geschichte in Der Herr der kleinen Vögel folgt diesem Muster und wird damit niemanden enttäuschen, der Ogawas Erzählstil mag. Zugleich passt der Roman aber nicht nur in Ogawas übliches Erzählschema, er ähnelt auch sehr der letzten deutschen Veröffentlichung Schwimmen mit Elefanten: Auch beim Herrn der kleinen Vögel gibt es einen Jungen mit ganz besonderen Fähigkeiten. Nur helfen ihm diese Fähigkeit in der Menschenwelt nicht weiter, denn er kann sich ausschließlich mit Vögeln verständigen.
Verstehen und sprechen sind zwei verschiedene Dinge
Allein der kleine Bruder versteht seine Sprache und unterstützt ihn im alltäglichen Leben. Dies bedeutet aber auch für den kleinen Bruder Isolation, denn aus der gemeinsamen Welt, die er mit seinem Bruder teilt, findet er bald nicht mehr heraus:
Sogar für ihn war es schwierig, die Sprache seines Bruders einem Fremden verständlich zu machen. Verstehen und Sprechen waren zwei verschiedene Dinge. (S. 29)
Der kleine Bruder nimmt die Bürde auf sich, sich sein gesamtes Leben lang um seinen großen Bruder zu kümmern. Während er arbeiten geht, bleibt sein Bruder zu Hause und kümmert sich um das Essen. Zwei Mal im Jahr planen die beiden eine Reise, führen diese aber nie durch, da sie dazu ihre vertraute Umgebung verlassen müssten. Täglich kümmern sie sich um die Vögel im Garten und der kleine Bruder schließlich auch um eine Vogelvoliere im nahegelegenen Garten, sodass er in der Nachbarschaft bald als der „Herr der kleinen Vögel“ bekannt wird. Dies wird ihm schließlich gefährlich, denn die Bezeichnung hat im Japanischen eine doppelte Bedeutung.
Kann ein langweiliges, alltägliches Leben glücklich machen?
Obwohl Yoko Ogawa vollkommen ihrem bisherigen Stil verhaftet bleibt, hat dieser Roman doch wieder eine ganz eigenen Thematik. Und obwohl die Geschichte der isolierten, etwas wunderlichen Brüder an die des genialen Schachjungen aus Schwimmen mit Elefanten erinnert, ist die Grundfrage in diesem Roman eine andere. Auch wenn sich der kleine Bruder die Frage nie stellt, beim Lesen kommt sie unweigerlich auf: Welchen Schutzraum gegenüber der Realität bauen wir uns? Wie stark stecken wir in den alltäglichen Routinen fest, ohne etwas Neues auszuprobieren? Und vor allem: Kann gerade solch ein Leben nicht auch glücklich machen?
Fazit
Gewohnte Ogawa-Qualität mit viel Herz für kleine Vögel.Verfasst am 22. August 2015 von Friederike Krempin
Tags: Einsamkeit, Kindheit und Jugend, Yoko Ogawa