Das verborgene Leben der Farben erzählt die Geschichte einer großen Liebe zwischen einer Frau mit einem ganz besonderen Verhältnis zu Farben und einem Mann, der diese Farben nicht sehen kann.
Mio Yoshida hat eine ganz besondere Gabe, die auch als tetrachromatische Sicht bezeichnet wird: Sie kann viel mehr Farben, Nuancen und Schattierungen sehen als andere Leute. Entsprechend ästhetisch und entsprechend zart ist ihre Sicht auf die Welt, doch entsprechend sensibel reagiert sie zugleich auf ihre Umwelt.
Dass sie in eine traditionsreiche Familie hineingeboren wird, die Hochzeitskimonos herstellt und ihre ganze Energie Stoffen und Farbmustern widmet, scheint zunächst ziemlich passend. Doch Mios Mutter ist das seltsame, viel zu einfühlsame und viel zu ruhige Mädchen unheimlich.
Aoi Morioka hingegen macht sich nicht viel aus Farben, denn er ist farbenblind. Ähnlich wie Mio ist er introvertiert und ruhig: „Glück war für Aoi genau das – er selbst, ruhig und still, während sein Kopf sich mit Dingen füllte.“ (Zitat aus Das verborgene Leben der Farben, E-Book-Ausgabe). Von Kindesbeinen an verbringt er seine Zeit im Beerdigungsinstitut des Vaters und übernimmt dieses später auch. Der Tod gehört für ihn zum Leben, er ist unerschrocken und ausgeglichen, solange es um den Tod geht. Das Leben hingegen stürzt ihn öfter in Verwirrung.
Als sich die beiden begegnen – was, wie sich später herausstellt, kein Zufall ist – sind beide schnell füreinander eingenommen, doch die Gegensätze und Bindungsängste machen eine tatsächliche Beziehung schwierig. Näher kommen sie sich allerdings darüber, dass Mio Aoi in der Farbgestaltung für sein Institut berät und er sie im Gegenzug an Beerdigungen teilhaben lässt.
Das verborgene Leben der Farben ist ein ruhiger, zurückhaltender Roman, der vor allem ästhetisch sein will. Dies zeigt sich daran, dass sich die Figuren vor allem mit Ästhetik beschäftigen. Nicht nur Mios Farbberatungen, auch Aois Beerdigungszeremonien sind hoch ästhetisch und schaffen es stets, den Verstorbenen Würde und Anmut zu geben. Die gesamte Sprache des Romans ist entsprechend sanft, teilweise bringt diese Erzählweise aber auch einige Längen mit sich.
Messinas Anspruch daran, einen durch und durch ästhetischen Roman zu präsentieren, zeigt sich auch an den regelmäßigen, aufzählungsartigen Einschüben, die im Stil an Auszüge aus dem Kopfkissenbuch von Sei Shonagon erinnern:
- „Vorläufige Liste der Dinge, die zuerst da sind und im nächsten Moment nicht mehr“
- „Was seine Mutter (vielleicht) zu Aoi sagte, als sie noch lebte, und was er sich im Halbschlaf noch einmal zusammenreimte“
Neben all dieser Ästhetik präsentiert der Roman zudem Wissen zu besonderen Farben wie etwa dem Abstellkammerblau (nandoiro 納戸色), einer Farbe, die einen im Dämmerlicht befindlichen Raum oder Schrank bezeichnet. Ein Farbwörterbuch mit den in der Handlung vorkommenden Farben ist dem Roman zudem beigefügt.
Die Liebesgeschichte zwischen Mio und Aoi ist auch eine Geschichte davon, wie zwei Menschen, die die Wirklichkeit unterschiedlich wahrnehmen, sich trotzdem lieben können. Sie ist somit eine Geschichte über gegenseitiges Verständnis und Kompromisse in einer Beziehung. In dieser Form ist sie nicht nur hochästhetisch, sondern behandelt in sanfter Erzählweise einen Grundkonflikt, der sich in fast jeder Beziehung früher oder später stellt.
Fazit
Eine sanfte und hochästhetische Geschichte über eine große Liebe.Verfasst am 5. Februar 2025 von Friederike Krempin