Seitdem Keis Ehemann vor 13 Jahren plötzlich verschwand, quält sie der Gedanke, was mit ihm geschehen ist und warum er sie verlassen hat. Ihre einzige Spur ist der Küstenort Manazuru, den er in seinem Tagebuch erwähnt hat. Kei begibt sich in Manazuru auf die Suche nach der Wahrheit, entfernt sich dabei immer mehr von der Wirklichkeit.
Kei wird gerade jetzt besonders zur Suche nach Kei getrieben, denn ihre gewohnte Welt um sie herum scheint sich aufzulösen. Am meisten hat sie seit Keis Verschwinden Angst davor, auch noch ihre Tochter Momo zu verlieren – die einzige Person, mit der sie sich je stark verbunden fühlte. Mit ihren 16 Jahren ist Momo aber nun so weit, sich von ihrer Mutter abzugrenzen.
Angst macht Kei außerdem, dass sie verfolgt wird. Von wem genau kann sie zunächst nicht sagen, aber als sie nach Manazuru kommt, wird die Figur – eine Frau – immer konkreter. Sie scheint aus einer anderen Wirklichkeit zu kommen, einer Wirklichkeit, in der auch Keis verschwundener Mann inzwischen lebt.
Desillusionierung und Ernsthaftigkeit
Am Meer ist es wärmer unterscheidet sich sehr stark von Kawakamis bisher veröffentlichten Romanen. Waren ihre Protagonistinnen bisher immer jung oder zumindest jung geblieben,
scheint Kei nicht mehr so unbedarft, erwachsen und gereift. Gleichzeitig ist ihre Welt aber auch desillusioniert und einsam. Kawakamis bisherige Protagonistinnen leben zwar auch alleine in ihrem eigenen Mikrokosmos, fühlen sich aber nicht so einsam wie Kei. Für Kei gibt es keinen Halt, die Welt ist weniger eindeutig, auf ihre Fragen findet sie auch in Manazuru keine vollkommen eindeutigen Antworten.
Ähnlichkeit zu Murakami und Yoshimoto
Vollkommen neu ist in diesem Roman auch das Transzendente, Magische, die Thematisierung von mehreren Wirklichkeitsebenen, wie man es bisher vor allem von Haruki Murakami und Banana Yoshimoto kennt. An Yoshimoto erinnert vor allem die geisterhafte Frau, die Kei auf ihrer Suche begleitet. An Murakami dagegen Keis Übergang in eine andere Wirklichkeit. Es ist verblüffend, wie ähnlich sich dieses Motiv bei Murakamis Mister Aufziehvogel wiederfindet: auch hier sucht ein Mann seine verschwundene Frau, die in einer anderen Wirklichkeit gefangen ist.
Kawakami-Typisches
Ist Kawakamis Roman also nur eine Mischung aus Erfolgselementen anderer japanischer Schriftsteller? Definitiv nicht, denn auch wenn dieser Roman weitaus ernster als seine Vorgänger ist, findet sich doch auch der für Kawakami typische ruhige Erzählfluss: einzelne, kleine, scheinbar unbedeutende Episoden werden aneinander gereiht, ganz subtil entwickelt sich die Handlung, ohne dass der Leser es so richtig mitbekommt. Gemessen an westlichen Standards ist die Geschichte relativ handlungsarm, trotzdem aber nicht langweilig. Durchbrochen wird dieser ruhige Erzählfluss aber mit einer von Kawakami bisher nicht gekannten Dynamik ab dem Moment, als Kei beginnt, mit der fremden Frau in die andere Wirklichkeit hinüberzugehen.
Dieser Roman ist anders als seine Vorgänger, aber das macht ihn nicht schlecht, eher
abwechslungsreich. Die Kombination von Ruhe und Dynamik, von naturalistischen und fantastischen Erzählszenen, macht seinen Reiz aus. Am Meer ist es wärmer ist keine bloße Kopie von Murakami oder Yoshimoto. Kawakami gestaltet das Motiv der fließenden Grenzen zwischen verschiedenen Wirklichkeitsebenen auf ihre ganz eigene Weise aus.
Fazit
Kawakami-Leser werden überrascht sein von der surrealen Erzählweise. Hier steckt ein bisschen Murakami drin - aber trotzdem bleibt es ein typischer Kawakami-Roman.Verfasst am 26. Juli 2010 von Friederike Krempin
Tags: Hiromi Kawakami, Parallelwelt, Realitätsverlust, Surreales, Verlust