Naoto Kan war während der Fukushima-Krise Premierminister und der Mann, der TEPCO anwies, auch unter Lebensgefahr die Stellung in Fukushima keinesfalls aufzugeben. Wie er die ersten Tage nach dem Atomunfall erlebte und was ihn dazu bewegt hat, sich heute für einen Atomausstieg einzusetzen, erklärt er in diesem Buch.
Ausgabe von 2012 mit aktualisiertem Nachwort
In Japan erschien Kans Buch Als Premierminister während der Fukushima-Krise schon 2012, der Übersetzer Frank Rövekamp hat es zusammen mit dem Iudicium Verlag nun auch nach Deutschland gebracht. Leider etwas spät, denn so hören Kans Schilderungen fast zu dem Zeitpunkt auf, als die Antiatomkraftbewegung in Japan ihren Höhepunkt erreicht hat. Für die deutsche Ausgabe hat Kan deshalb noch ein aktualisiertes Nachwort geschrieben, dass auf die jüngsten Ereignisse eingeht – ebenso wie ein Vorwort speziell für die deutschen Leser.
Die japanische Regierung während der Fukushima-Krise
Die japanische Regierung mit Naoto Kan an der Spitze erntete für ihr Krisenmanagement viel Kritik. Besonders dass die Informationen so zögerlich und dann auch nur scheibchenweise kamen (wie bei der Explosion von Block 1 oder der Voraussage der Verbreitung radioaktiver partikel), wird kritisiert. Mit seinem Bericht versucht Kan nicht nur, seine Tage als Premier während der Fukushima-Krise nachzuerzählen, sondern sein Handeln zu erklären:
Das Rechtssystem, die Politik und die Wirtschaft, ja selbst die Kultur basierten auf der Voraussetzung, dass ein Unfall in einem Atomkraftwerk nicht passieren würde. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass man auf nichts vorbereitet war. (26)
Das Atomunfallgesetz geht von der Voraussetzung aus, dass in der Atomanlage zwar eine Ausnahmesituation vorliegt, dass jedoch an Orten außerhalb der Einrichtung alles normal verläuft. (45)
Durch die Ausmaße der geballten Katastrophe von Erdbeben und Tsunami, vor allem aber auch dadurch, dass ein Atomunfall für absolut unmöglich gehalten wird, wird Kan vollkommen überrumpelt. Experten, die ihm beratend zur Hilfe stehen. fehlen, denn beispielsweise der Leiter der Atomaufsichtsbehörde ist überhaupt kein Atomexperte, sondern hat den Posten aus anderen Gründen bekommen.
Rechtfertigung oder Essay für einen Atomausstieg?
Durch dieses Buch wird Kans Handeln schlüssiger, oft liest es sich aber auch wie eine Rechtfertigung. Kan betont immer wieder, dass es eigentlich nicht die Aufgabe des Premiers ist, so konkrete Anweisungen zu geben, wie er es getan hat. Und er betont immer wieder die Verantwortung eines Staatschefs, nur gesicherte Informationen herauszugeben. Und dass ein wenig Staatschef immer noch in ihm steckt, merkt man auch an seinem Buch, das in einigen Momenten doch glatt wirkt. Persönliches bleibt außen vor, nur die Angst, die Kan angesichts einer möglichen Evakuierung von Tokyo hat, tritt deutlich hervor. Ansonsten lesen sich aber gerade die vielen offiziellen Reden, die im fortschreitenden Teil von Kans Bericht immer öfter verwendet werden, eben nicht wie ein Bericht aus Perspektive von Naoto Kan, sondern immer noch wie der offizielle Auftritt eines Politikers.
Man würde Kan aber unrecht tun, wenn man Als Premierminister während der Fukushima-Krise nur als Abhandlung oder Tagebuch eines Politikers liest. Durch seinen kurzzeitigen Aufenthalt im Zentrum der Macht hat Kan einen Einblick darin erhalten, wie die japanische Atomlobby, das „Atomdorf“, tatsächlich arbeitet und ist damit zum entschiedenen Atomkraftgegner geworden. Was Kan mitgeben möchte, ist nicht die Botschaft, wie und ob er sich profiliert hat, sondern was man aus dieser Situation für Atomkraftwerke und mögliche weitere Atomunfälle lernen sollte: Wir brauchen den Atomausstieg, nur so kann ein weiterer Unfall verhindert werden. Denn Kans Bericht zeigt detailliert, dass die Regierung zwar viele Maßnahmen ergriffen hat, aber nur ein glücklicher Umstand dafür verantwortlich war, dass nicht ganz Ostjapan atomar verseucht wurde.
Fazit
Der offizielle Bericht von Japans ehemaligem Staatschef zur Fukushima-Krise.Verfasst am 5. September 2015 von Friederike Krempin