Lyrik hat es leider oft schwer und gerade die besonders kurze, reduzierte japanische Lyrik ist nicht für jeden eingänglich. Umso erfreulicher ist es, dass Manesse mit In der Ferne der Fuji wolkenlos erstmals Tanka von Wakayama Bokusui nach Deutschland bringt.
Manesse hat in den letzten Jahren immer wieder Perlen der japanischen Literatur veröffentlicht wie das opulent gestaltete Kopfkissenbuch oder die zweibändige Ausgabe des Genji Monogatari im Schuber. Beides sind große Namen und Werke der Weltliteratur, während Wakayama Bokusui, der übrigens schon vor rund 90 Jahren verstarb, in Deutschland ein vollkommen Unbekannter ist.
Spricht man in Japan von Tanka, ist Wakayama Bokusui dagegen ein Begriff. Damit die Tanka nicht für sich stehen bleiben, liefert Eduard Klopfenstein ein umfassendes Nachwort, das Bokusuis Schaffen vorstellt und die im Buch gesammelten Tanka einordnet.
Geprägt durch ein sehr ursprüngliches Kindheit mit viel Natur spiegeln seine fünfzeiligen Kurzgedichte vor allem seine besondere Beziehung zu Bäumen, Wäldern und Naturstimmungen wider.
Im Dunkeln
ist es nun kühler – noch kühler
der Sand
Ich lege mich nieder am Strand
lausche den schwarzen Fluten
(Sommer 1906/07)
S. 9
Den Fluss hinunter
geht es zum Meer: blauwogende
Wellen – die Stadt
gefärbt von aufbrechenden
Knospen der Bergkirschbäume
Es sind vor allem diese Naturbeobachtungen, die trotz der Kürze präzise wie ein Fotoschnappschuss sind. Da Bokusui während seiner relativ kurzen Schaffensphase bis zu seinem Tod Anfang 40 sehr produktiv war und in seinen guten Jahren fast jährlich eine Sammlung veröffentlicht hat, gibt es unzählige dieser Beobachtungen zu allen Jahreszeiten. Diese Naturbeobachtungen sind für mich die schönsten in der Sammlung.
Bokusui ist aber nicht allein ein Poet und Ästhet, wie so oft sind seine Gedichte wunderschön, aber sein privates Leben ist voller Probleme. Ihn quälen ständige Geldsorgen, er ist unruhig und depressiv. Die Selbstironie über seine einfachen Lebensverhältnisse und Probleme zeigt sich deshalb auch in einigen sehr düstereren Tanka:
Ein Leben
ohne Licht das gibt es –
In einer solchen
Welt sein Dasein fristen …
Welche Einsamkeit
(Januar 1920)
S. 27
Schwapp schwapp schwapp
Sake plantscht im vollen Fass
armes Herz
allein
schwankt im selben Takt.
(Januar 1910)
S. 27
Vor allem das letzte Tanka wird wegweisend für seinen Lebensweg werden, denn er stirbt früh, wohl vermutlich auch durch seinen jahrelangen Alkoholkonsum, wie Eduard Klopfenstein in seinem Nachwort erläutert.
Ein Verdienst um eine besondere japanische Gedichtform, eine feine Beobachtungsgabe für Stimmungen und Ästhetik sowie die Tragik einer viel zu kurzen Schaffenszeit – all dies zusammen macht die Tanka von Wakayama Bokusui wirklich lesenswert.
Fazit
Feine Naturbeobachtungen und kurze, gefühlvolle Momente. Eine wunderbare Sammlung von inzwischen fast über 100 Jahre alten Tanka.Verfasst am 28. April 2018 von Friederike Krempin