Der Iudicium Verlag ist bekannt dafür, auch Nischenthemen zu publizieren. Und wenn japanische Literatur an sich schon ein Nischenthema ist, so ist eine Biografie über einen japanischen Schriftsteller, der in Deutschland bisher noch nicht bekannt ist, wohl absolut speziell.
Zu Roka Tokutomi findet man auf Deutsch, aber auch in westlichen Sprachen allgemein, so gut wie keine Übersetzungen. Dabei spricht ihm die vorliegende Biografie zu, mit Der Kuckuck (1900) der „Autor des berühmtesten Romans Japans“ (S. 66) zu sein. Bis zu seinem Tod 1927 bringt er zahlreiche Bestseller heraus und kann – für einen Schriftsteller nicht unbedingt gewöhnlich – in gut gesicherten Verhältnissen leben.
Außerhalb Japans findet Roka als Tolstoj-Anhänger vor allem in Russland Beachtung. Neben zahlreichen Übersetzungen ist hier bereits 1983 eine Biografie über ihn erschienen. Diese Biografie wurde nun ins Deutsche übersetzt.
Dass sie schon ein paar Jahre alt ist, merkt man der Biografie kaum an – Roka ist vor bald schon 100 Jahren verstorben und inzwischen werden wohl nur noch wenige neue Erkenntnisse in der Forschung hinzugekommen sein. Dass die Biografie aber noch zu Zeiten der Sowjetunion verfasst wurde, sieht man der Sprache teilweise an, wenn vom japanischen Staat als bourgeoisen Staat die Rede ist oder von der „reaktionäre[n] Natur des Konfuzianismus“ (S. 48). Die Sprachwahl ist aber wenig störend und man kann über die paar sozialistischen Vokabeln hinweglesen.
Hauptsächlich ist Rokas Biografie eine literarische, das heißt die Arbeit an und der Inhalt seiner Werke nehmen den größten Anteil ein. Die Romane werden alle so nacherzählt, dass man sich ohne Lektüremöglichkeit einen guten Eindruck von Rokas Werk machen kann.
Roka hat in seinem Leben immer wieder gerne Neuanfänge beschlossen und Tagebücher verbrannt. Deshalb gibt es gerade zu Beginn wenig detaillierte Informationen. Wir erfahren aber, dass Roka als junger Mann eine unglückliche Liebesgeschichte durchmachte, die ihn sein ganzes Leben hindurch begleitete und seine Frau Jahrzehnte später zu einem Nervenzusammenbruch bringen würde.
Sehr ausführlich geht die Biografie auf den historischen und politischen Kontext ein – schließlich ist die Meiji- und Taishô-Ära (1868 bis 1927), in der Roka lebte, schon ziemlich weit von unserer Zeit entfernt. Die Kontexte sind jeweils gut verständlich und es wird deutlich, wie Roka zum Sozialisten wird und – für die damalige Zeit absolut neu und ungewöhnlich – auch soziale Themen zu literarischen Themen macht.
Am Ende ist der engagierte Schriftsteller, der sogar zu Tolstoj reist, aber schließlich doch ein selbstgefälliger Mann, der sich nur noch wenig für die großen Ereignisse um ihn herum interessiert. Er überwirft sich mit seinem Bruder, zieht sich noch Kasuya zurück und widmet sich sogar dem Christentum. Gegen Ende seine Lebens wird er sogar so ungenießbar, dass er in 8 Monaten 80 Pfleger verschleißt. Gegen den ärztlichen Rat wird seine letzte Reise mit einer Prozession von rund 30 Leuten in die Berge gehen, nur um ein bestimmtest Silberkarauschen-Sashimi zu probieren.
Die Biografie bietet nicht nur einen Einblick in ein bisher in Deutschland noch nicht bearbeitetes Thema, sondern auch in eine – wenn sich zurückliegende – spannende Zeit japanischer Geschichte: Japan öffnet sich dem Westen und lotet aus, was aus dem Westen übernommen werden soll und was nicht. In dieser Zeit ebenfalls aktiv und bisher ins Deutsche übersetzt sind Tôson Shimazaki, Mori Ôgai und Ichiyo Higuchi. Die Biografie Rokas ist eine schöne neue Ergänzung in dieser Sammlung.
Fazit
Diese Biografie ist Pionierarbeit auf einem in Deutschland so gut wie unbekannten Gebiet.Verfasst am 3. August 2019 von Friederike Krempin
Tags: Japan und der Westen, Meiji-Zeit, Russland, Schriftsteller, soziale Ungleichheit, Taishô-Zeit