Im September 2010 beschenkte sich die Phantastische Bibliothek Wetzlar zu ihrem 30. Geburtstag mit einem Symposium zu phantastischer Literatur aus Japan.
„Um selbst etwas zu lernen“, so Initiator und Vorstand Thomas Le Blanc, tat sich die Bibliothek mit der Japanologie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zusammen und entwickelte ein inhaltsreiches Wochenendprogramm aus Vorträgen und Lesungen. Ergänzt wurde es durch eine kleine Ausstellung mit Holzschnitten und Büchern zum Thema. Mit gehöriger Verspätung ist nun der Tagungsband erschienen. Darin enthalten sind die zu Essays überarbeiteten, mit Fußnoten und Literaturhinweisen versehenen Beiträge des Symposiums sowie zwei Rahmentexte und ein Glossar zur japanischen Phantastik.
Das Themenspektrum ist denkbar weit. Tanja Christmann stellt Oe Kenzaburos einzigen Science-Fiction-Roman „Therapiestation“ (dt. 1995) vor. Daniela Tan beschreibt phantastisches Erzählen im Werk von Oba Minako, einer Schriftstellerin, die phantastischer Literatur zunächst einmal eher unverdächtig erscheint. Die Murakami-Übersetzerin Ursula Gräfe berichtet aus ihrer Werkstatt über die Arbeit an „1Q84“, dessen erste beide Bände 2010 zur Frankfurter Buchmesse erschienen sind.
Fernab der „hohen“ Literatur beschäftigen sich Angela Troisi, Benedict Marko und Bernd Dolle-Weinkauff mit Phantastik in Light Novel und Manga. Dem magischen Realismus in der Literatur aus Okinawa widmet sich Ina Hein, während Yoko Koyama-Siebert phantastische Kinder- und Jugendliteratur und die Werke von Uehashi Nahoko bespricht. Eike Großmann entführt in die Anderswelt im No-Theater, wo es von rachsüchtigen Seelen getöteter Krieger oder ruheloser Frauen nur so wimmelt, obwohl die Eingeweihten des No die oni-Stücke gar nicht sonderlich hoch schätzen. Dem Bergkobold Tengu als frühmodernem Freiheitskämpfer ist Harald Meyer auf der Spur. Unter den vielen Yokai ist Tengu die einzige Spezies, die in einem eigenen Essay gewürdigt wird. Die Wasserkobolde Kappa und die zaubermächtigen Tanuki und Füchse kamen und kommen nur am Rande vor. Die Phantastik im Werk genialer Ukiyo-e-Künstler wie Hokusai, Hiroshige, Kunisada oder Yoshitoshi diente den Vortragenden zur Illustration, ist jedoch im Textband zugunsten von Manga-Illustrationen ausgespart.
Als ferner Reflex der Ausstellung besprechen Eike Großmann und Michael Kinski einen Holzschnitt, der Oishi Matora zugeschrieben wird und den „Schreinbesuch zur Stunde des Rindes“ zum literarischen Gegenstand hat. Eine eifersüchtige Adelige wird – ohne gestorben zu sein, wie es üblich wäre – zum Dämon, nachdem sie 37 Tage unter vollem Körpereinsatz arglose Menschen erschreckt und einige davon sogar getötet hat. Damit geht ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung, möchte sie die neue Frau ihres ehemaligen Mannes beseitigen und diesen bis aufs Blut quälen. Das ruft schließlich Japans berühmtesten Exorzisten Abe no Seimei auf den Plan. Allerdings kann nicht einmal er den Dämon bannen, nur ihn zu vertreiben gelingt ihm.
Fazit
Ein vielseitiger Blick in die japanische Phantastik mit teils überraschenden Einsichten in die ältere und neueste literarische Genres, nicht nur für JapanwissenschaftlerInnen.Verfasst am 24. Januar 2013 von Thomas
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 23. August 2019