So wie man das deutsche Butterbrot gerne und überall isst, sind in Japan die Onigiri als herzhafter Imbiss Teil des Alltags. Gefüllt wird das herzhafte Reisdreieck beispielsweise mit Thunfisch oder eingelegter Pflaume und anschließend ummantelt von einem knusprigen Seetangblatt.
Für die Erzählerin Aki sind diese Onigiri ein wichtiger Teil ihrer Kindheitserinnerungen an ihre japanische Mutter Keiko, die es in den 1980er Jahren nach Deutschland führt. Keiko will dem für sie zu eng gewordenen Japan entfliehen und wagt sich zunächst ganz alleine in das fremde Deutschland. Schließlich lernt sie den zehn Jahre jüngeren Karl kennen und gründet mit ihm eine Familie.
Doch das Glück hält nicht lange: Depressionen und ein Selbstmordversuch von Karl kurz nach Akis Geburt zerstören die Ehe. Keiko, die zudem unter den hohen Ansprüchen ihrer Schwiegereltern leidet, nimmt das Schicksal einer alleinerziehenden Mutter an und wird dabei selbst depressiv.
Seinen Beginn nimmt der Roman mit dem Tod von Keikos Mutter Yasuko. Obwohl Keiko inzwischen dement ist und im Pflegeheim lebt, möchte Aki mit ihr ein letztes Mal nach Japan reisen, damit Keiko sich von ihrem Bruder und ihrer besten Freundin verabschieden kann. Die Reise wird allerdings alles andere als einfach, da Keiko unterwegs sogar vergisst, wer Aki ist.
Ausgehend von dieser Hauptgeschichte wird Keikos Familiengeschichte, wie ich sie oben bereits kurz angerissen habe, eingestreut. Es ist nicht immer ganz einfach, dieser Erzählung zu folgen, da sie oft von einem Satz auf den anderen in Zeit und Thema hin- und herspringt. Nimmt man alle kleine Erzählepisoden zusammen, kommt jedoch ein spannendes Kaleidoskop deutsch-japanischer Kultur zutage.
Da sind zum einen die deutschen Boomer-Wohlstands-Großeltern mit eigenem Schwimmbad und „Opasessel“, die ihren Kindern alles außer Zuneigung geben können. Zum anderen gibt es schöne Momente in Japan, etwa wenn Keiko mit ihrer Mutter ins traditionelle Badehaus geht. Dazwischen gibt es aber auch die Momente der Brüche zwischen diesen Welten:
„Meine Mutter weiß gar nicht, wie man Kaffee kocht, bei uns gibt es nur Tee, aber ich zwinge sie, Getränke zu servieren und mit den anderen Frauen auf dem Sofa zu sitzen.“ (Zitat aus: Yuko Kuhn, Onigiri, E-Book-Ausgabe)
Spannend ist in diesem Hinblick auch Keikos ambivalente Einstellung zu Deutschland, die sich im Laufe der Jahre wandelt. Der Roman birgt damit mehrere Facetten und erzählt gleich mehrere Geschichten auf einmal.
Für die Kategorie der Romane über interkulturelle Begegnungen und Japaner, die sich in Deutschland aufhalten, ist Onigiri seit längerer Zeit mal wieder eine erfreuliche Ergänzung.
Fazit
Ein teilweise sehr ernstes und trauriges, zugleich aber unheimlich gut getroffenes Familienporträt einer deutsch-japanischen Familie.Verfasst am 23. August 2025 von Friederike Krempin