Schon im Frühsommer begann Rowohlt mit den ersten Werbeaktionen zu diesem umfangreichen historischen Roman, rief eine eigene Homepage ins Leben und schickte aufwendig gestaltete Leseexemplare auf den Weg zu den ersten Rezensenten.
Insgesamt scheint sich Die tausend Herbste des Jacob de Zoet abzuheben von anderen Romanen seines Genres. Er ist kein üblicher historischer Roman, will ein Abenteuerroman sei, aber durchaus mit realistischem Handlungsverlauf, historischen Fakten und erzählerischer Tiefe.
Der aufwendig gestaltete und beworbene Roman weckt Neugier, aber auch große Erwartungen. Liefert Mitchell hier nun endlich einmal einen historischen Roman mit Tiefe, der uns die Edo-Zeit hautnah miterleben lässt?
Historischer Hintergrund
Die Ausgangslage ist zunächst schwierig zu verstehen für die Leser, die mit den historischen Hintergründen nicht vertraut sind. Japan ist um 1800 abgeschottet von der Welt und pflegt nur über Nagasaki Handel mit Niederländern und Chinesen. Die Niederländer wohnen auf einer kleinen Insel vor der Stadt, Dejima. Abgeschottet von den Japanern leben sie fast wie Gefangene, freundschaftlicher Kontakt zu einem Japaner – sei es nur der Dolmetscher – ist untersagt.
Protagonist: Jacob de Zoet
In diese Situation gerät der junge und unbedarfte Jacob de Zoet, der sich für einige Jahre verpflichtet hat, für die Ostindische Kompanie zu arbeiten. Eigentlich will er nur ein wenig Geld verdienen, zurückkehren und seine Verlobte heiraten. Doch aus wenigen Jahren werden schließlich über 20, die er sich in Japan aufhält, die Sprache lernt und verliebt.
Drei Bücher in einem
Zwar ist Jacob der Protagonist, die Erzählung wird aber mit der Zeit ausgeweitet. Anfangs langsam und gemächlich mit einigen Durststrecken, nimmt sie doch bald an Fahrt auf. Es tauchen unzählige Figuren auf, diese werden aber erst langsam nach und nach eingeführt, sodass die Lage immer übersichtlich bleibt. Von Japan schwenkt die Erzählung im Mittelteil zum Schicksal einer jungen japanischen Frau, die in ein Kloster verschleppt wird, das perverse Ritualen durchführt. Abgesehen von diesen etwas seltsam erscheinenden Praktiken im Kloster fehlt dem Roman aber das reißerische Element, das man üblicherweise von historischen Romane durchwachsener Qualität kennt. Schließlich kehrt die Handlung zurück zu Jacob, erlernt er die japanische Sprache und Kultur immer besser verstehen und wird schließlich noch in eine spannende Seeschlacht verwickelt.
Interessante Charaktere
Interessant an Jacob ist seine Schläue, auch insgesamt sind die Protagonisten des Romans aufmerksam und intelligent. Auch wenn Jacob sich durch seine Ehrlichkeit zunächst ins Abseits manövriert, gelingt es ihm dennoch, seine Position zum Vorteil zu nutzen. Es sind nicht die großen, abenteuerlich gewagten Aktionen, sondern kleine Tricks und Kniffe, die immer wieder für kleinere Überraschungen sorgen. Auch die Dialoge sind durchaus inhaltsreich und verhandeln anthropologische Grundprobleme wie Verständigungsprobleme, Isolation und Rückständigkeit, Wissensdurst und Forschergeist sowie Aberglauben und Machthunger.
Historische Romane der Edo-Zeit
Während es bei anderen historischen Romanen, die im Japan dieser Zeit spielen, oft störend ist, dass die realistischen Gegebenheiten zugunsten einer spannenden Handlung ignoriert werden wie etwa in Die Rache des Samurai, bleibt Mitchell im Rahmen des Möglichen, was dem Roman einen ernsthaften Anstrich verleiht. Einzig seltsam sind die perversen Machenschaften im Tempel und der Kampf gegen den Widersacher Enomoto, der die Verkörperung des Bösen in Person darstellt. Bis auf diese eher stereotypen Elemente zählt Die Tausend Herbst des Jacob de Zoet aber wohl eher zu den anspruchsvolleren historischen Romanen.
Leseempfehlung
Für dieses Buch ist es schwer, eine Leseempfehlung abzugeben, da es mit seiner komplexen Handlung und Vielschichtigkeit gleich mehrere Lesergruppen anspricht. Einigen wird die Handlung sicher nicht dynamisch genug sein, wer aber einen nachdenklichen und tiefgründigen Roman erwartet, wird auch nicht ganz zufrieden gestellt. Auch Japan tritt nicht ganz so stark in den Vordergrund, spielt bis Seite 220 sogar eigentlich bis auf die japanischen Dolmetscher gar kein Rolle. Der Fokus liegt eindeutig auf der niederländischen Perspektive.
Fazit
Unterhaltungsroman oder doch eher anspruchsvolle Lektüre? Dieser historische Roman versucht beides zu sein.Verfasst am 21. September 2012 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 27. Februar 2020