Mit Das Loch feiert Hiroko Oyamada ihr Deutschland-Debüt, genau 10 Jahre, nachdem der Roman in Japan veröffentlicht wurde. In Japan zählt die Autorin zu den Literatur-Shooting-Stars, seit sie für Das Loch den begehrten Akutagawa-Preis erhalten hat.
Oyamada erzählt von der 30-jährigen Asahi, die mit ihrem Mann Munaeki aufs Land zieht. Da sie kostenfrei im Haus direkt neben dessen Eltern wohnen können, gibt Asahi ihren ohnehin schlecht bezahlten, prekären Job auf. Doch das Hausfrauendasein bringt für Asahi nicht die Erfüllung, die sie sich vorstellt.
Bereits ab mittags weiß Asahi nicht mehr, was sie mit sich anfangen soll. Da sie kein Auto hat und es auch ansonsten wenig Vergnügungen auf dem Land gibt. Was sich zunächst wie endlose Sommerferien anfühlt, driftet immer mehr in Bedeutungslosigkeit ab.
Als Asahi auf dem Weg zu einer Besorgung in ein Loch fällt, wandelt sich die Stimmung kaum merklich, aber stetig. Die Umgebung nimmt teils surreale Züge an: die Natur wird üppiger und lebendiger, die Kinder im Ort werden scheinbar immer mehr, ein seltsames Tier taucht auf und Asahis Mann hat plötzlich einen Bruder, der als Hikikomori in einem Schuppen lebt.
Was Realität und was eingebildet ist, ist nur schwer voneinander zu unterscheiden. Oyamadas im Stil des Magischen Realismus geschriebener Roman erinnert deshalb in den Grundzügen an Haruki Murakamis Romane, der sich desselben Stils bedient und in dessen Romanen sich die Figuren in skurrilen Welten verirren oder in Parallelwelten verschwinden. Oyamada entwickelt jedoch ihren eigenen Erzählstil. Insbesondere die beständige Sommerhitze und die Naturbeschreibungen geben dem Roman eine ganz besondere, entrückte Atmosphäre.
In Abgrenzung zu Murakami erzählt sie zudem aus einer weiblicheren Perspektive. Asahi fällt auch sprichwörtlich in ein Loch, da sie ihren Platz nicht findet. Ihr Mann scheint desinteressiert, Kinder möchte sie eigentlich nicht, womit auch ihr Hausfrauendasein wenig Sinn macht.
„Ehefrau oder Mutter sein, das bedeutet Selbstaufopferung für die Gemeinschaft.“ (Hirokoyo Oyamada, das Loch, Seite 99)
Es ist ausgerechnet der zurückgezogen lebende, verheimlichte Bruder ihres Mannes (oder handelt es sich bei ihm um einen Geist?), der Asahi diese Ansicht mitteilt und zugleich explizit macht, was Asahi täglich bei ihrer eigenen Schwiegermutter beobachten kann.
Alles in Allem ist Das Loch ein sowohl inhaltlich als auch erzählerisch hochinteressanter Roman. Einzig die Länge – rund 122, die man in ein bis zwei Stunden beendet – machen ihn nicht massentauglich. Da der Roman sich sprachlich unkompliziert und schnell liest, dürften viele den Roman als „zu kurz“ empfinden. Dieser Eindruck stellte sich bei mir beim ersten Lesen ebenfalls ein, bis ich andere Rezensionen und dann den Roman erneut las.
Aber auch hierfür gibt es vielleicht eine Lösung, die wiederum bei Haruki Murakami zu finden ist: Sein 2024 erschienener Roman Die Stadt und ihre ungewisse Mauer mit einem Umfang von fast 700 Seiten basiert auf einer Erzählung aus seinen frühen Jahren. Würde Oyamada diese oder eine ähnliche Geschichte zu einem umfangreicheren Roman weiter ausbauen, so würde ich mit Freude gerne noch einmal in ihre magisch-skurrile Welt vertiefen.
Fazit
Ein kurzer Roman im Stil des magischen Realismus mit einer ganz besonderen, entrückte Sommerstimmung.Verfasst am 11. Dezember 2024 von Friederike Krempin