Oft wird an Literatur der Anspruch gestellt, dass sie uns in fremde Welten entführen, verzaubern und über den Alltag hinwegtrösten soll. Aber dieser naturalistische Roman stößt uns geradezu auf die ungemütliche Welt des Nachkriegsjapans, auf die ganz banalen Ehestreitigkeiten, Disharmonie, Konflikt und Krankheit.
In der Tradition des japanisch-naturalistischen Ich-Romans, der das Innere des Autors dem Leser offenlegt, erzählt Kojima über sein Familienleben nach dem 2. Weltkrieg. Es ist der 45-jährige Familienvater Shunsuke, auf den der Autor sein Ich projiziert: Shunsukes Ehe ist im Grunde zerrüttet, die Stimmung zu Hause feindselig. Seine Frau Tokiko ist ständig gereizt und betrügt ihn sogar mit einem jungen Amerikaner.
Shunsuke wird zunächst böse darüber, duckt sich dann aber doch vor seiner Frau, wie er es immer tut. Diese ist verärgert, denn sie will doch nur, dass ihr Mann endlich mehr Autorität zeigt. In fast schon reinen Dialogen wie im Drama, mit nur kurzen Regieanweisungen und sprunghaften Szenenwechseln, entwickelt Kojima die Gespräche zwischen beiden, die ins Nichts zu führen scheinen.
Das Ehepaar wünscht sich Harmonie, doch die Stimmung verschlechtert sich noch mehr, als Tokiko an Krebs erkrankt. Die einzige Lösung, die Shunsuke und seiner Frau einfällt, ist die Flucht in den Konsum: sie bauen sich ein neues Haus und richten es mit modernster Technik ein. Selbst als Tokiko im Krankenhaus läuft, geht Shunsuke fast täglich in ein Kaufhaus, um ihr irgendwas zu besorgen, sei es neue Kleidung oder ein Kühlschrank.
Kojima ermöglicht einen ungeschönten und verstörenden Blick in eine japanische Nachkriegsfamilie, in der sich die Widersprüche der Nachkriegszeit zeigen: Auf der einen Seite übernimmt die Familie die Konsumkultur ihrer amerikanischen Besatzer, wird damit aber nicht glücklich. Auf der anderen Seite symbolisiert der junge Amerikaner, mit dem Tokiko ihren Mann betrügt, das zwiespältige Verhältnis zur Besatzungsmacht: Shunsuke hasst ihn zwar für die Affäre mit seiner Frau und damit die Einmischung in seine Familie, ist aber letztlich doch freundlich und lädt ihn wieder zu sich nach Hause ein, da er doch irgendwie mit ihm auskommen möchte.
Fremde Familie macht nachdenklich – nicht nur über japanische Familienverhältnisse, denn die Probleme in dieser Familie sind Probleme, die es auch in unserer Kultur gibt. Dieses Buch ist interessant, aber auch anstrengend und deprimierend, sodass man am Ende froh ist, wieder in der eigenen Welt anzukommen. Aber nicht jedes Buch muss verzaubern, eine Entzauberung kann manchmal für das eigene Leben auch ganz hilfreich sein.
Fazit
Ein direkter, schonungsloser Einblick in die japanische Familie nach dem Zweiten Weltkrieg, die zwischen Konsum und Konflikt steht.Verfasst am 7. Juli 2010 von Friederike Krempin
Tags: Konsum, Krankheit, Krebs, Nachkriegszeit