Wenn eine Frau ihrem Mann nicht mehr genug ist, holt er sich eine Mätresse ins Haus. Das ist die Situation, in der sich die zwar familiär gut situierte, aber trotzdem einsame Tomo befindet, als sie ihrem Mann im Alter von 30 Jahren nicht mehr attraktiv erscheint. Er gibt ihr zudem eine ganz besondere Aufgabe: Sie soll diese neue Frau für ihn auswählen.
Mit dem Roman die Wartejahre, der rund 20 Jahre, nachdem er erstmals in Deutschland erschienen ist, nun wieder aufgelegt wurde, liefert Fumiko Enchi ein Juwel für alle, die historische Familiengeschichten aus Japan mögen. Angesiedelt im Japan der Meiji-Ära (1868 bis 1912) erzählt sie die Familiengeschichte der gut etablierten und reichen Shirakawas.
Als stolze und traditionelle Ehefrau dient Tomo ihrem Mann, auch wenn dies bedeutet, für ihn eine Mätresse zu besorgen. Ihre eigenen – auch sexuellen – Bedürfnisse stellt sie hinten an. Wichtig bleibt es, ihre Fassade zu wahren und innerhalb ihres Haushalts stets die Macht nicht aus der Hand zu geben.
Diese Macht ist allerdings beschränkt, denn auch wenn die Frauen den Haushalt verwalten, haben sie doch in der traditionellen, patriarchalen Struktur keinerlei Macht. Enchis Erzählung spielt sich rein im privaten Kreis der Shirakawas ab, die Öffentlichkeit spielt für die Frauen nur eine Rolle, wenn es um Besorgungen geht. Ansonsten kreisen sie um den Hausherren, der sich ohne Rücksicht auf die Frauen – aus einer werden schließlich zwei Mätressen – nimmt, was ihm vermeintlich zusteht.
Was Enchis Roman so spannend macht, sind die vielfältigen Themen, um die es in Die Wartejahre geht. Anders als der Klappentext vermuten lässt, geht es eben nicht nur um die erste Mätresse Suga, sondern auch um weitere, teilweise unsittliche Verbindungen des Patriarchen über einen langen Zeitraum. Enchi erzählt die Weiterentwicklung der Familie über einen langen Zeitraum, geht schließlich sogar noch eine Generation weiter bis zum Sohn.
Bedingt durch die Strukturen ist aber auch dieser kein Stück besser als sein Vater. Eine geistige Eingeschränktheit bestärkt den Konflikt im Gegenteil noch, denn die Wut über die eigene Schwäche lässt er an den Frauen aus, die ihn umgeben. Bei Tomo reift eine Erkenntnis: Die Macht und Repression wird immer von einem Mann ausgehen, selbst wenn ihr Mann stirbt.
Fazit
Ein feinfühliger Roman über das Leben der Frauen im Japan der Meiji-Zeit.Verfasst am 30. März 2018 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 23. August 2019