Momentan ist eine gute Zeit für japanische Literatur-Klassiker. Nach Neuübersetzungen des Kopfkissenbuchs und des Genji Monogatari gibt es auch wieder verstärkt Neuauflagen und Neuveröffentlichungen zu japanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Nach Jun`ichiro Tanizaki erhält nun auch Yukio Mishima wieder größere Aufmerksamkeit.
Den Grundstein legte Kain & Aber schon 2018 mit der Neuübersetzung von Bekenntnisse einer Maske, dem Buch, mit dem Yukio Mishima seinen Durchbruch in Japan feierte. Dieser Roman wurde nach über 50 Jahren von Ursula Gräfe ebenfalls neu ins Deutsche übersetzt. Ein weiterer Höhepunkt in diesem Jahr wird dann die Erstveröffentlichung von Leben zu verkaufen sein.
Während es für alle Liebhaber japanischer Literatur natürlich eine Freude ist, dass Mishima neu übersetzt wurde – ganz unstrittig und unproblematisch war und ist dieser Autor bis heute nicht. Seine nationalistische Gesinnung, sein Eintreten für Aufrüstung Japans und die Wiedereinsetzung des Kaisers – und nicht zuletzt sein spektakulär inszenierter, ritueller Selbstmord. Mishima war kein leiser Schriftsteller und hat Tendenzen, die durchaus auch kritisch gesehen werden müssen. Trotz allem ist das Werk dieses Schriftstellers, der inzwischen schon seit einem halben Jahrhundert tot ist, literarisch hochinteressant.
Mit Der Goldene Pavillon macht Mishima eines der Wahrzeichen Japans zum Romanstoff. Oder hat der Roman, der bereits 1961 unter dem Titel der Tempelbrand erstmals in Deutschland erschien, vielleicht dazu beigetragen, dass der Goldene Pavillon kinkakuji heute in Deutschland als besondere Sehenswürdigkeit Kyôtôs bekannt ist?
Ob nun das Huhn oder das Ei zuerst da war, Mishima hat sich ein exotisches Sujet ausgesucht: Vor dem Hintergrund des altehrwürdigen Tempels Kinkakuji erzählt er die Coming-of-Age-Geschichte eines Novizen. Mizoguchi ist der Sohn eines Priesters aus einem entlegenen Landstrich. Er ist Stotterer und stets gehemmt und distanziert zur Umwelt. Nur eines kann ihn berühren: die Schönheit des Goldenen Pavillons, von dem sein Vater ihm immer wieder erzählt.
Eines Tages nimmt der schwer kranke Vater seinen Sohn mit nach Kyoto und sorgt dafür, dass Mizoguchi als Novize im Kinkakuji unterkommt. Mizoguchi ist nun seinem Traumobjekt ganz nahe, doch zugleich beherrscht ihn der Tempel. Während zeitgleich der Zweite Weltkrieg tobt, lebt Mizuguchi zunächst scheinbar wie im Auge eines Orkans. Doch glücklich ist er auch im Kinkakuji nicht. Weder bei Frauen findet er Anerkennung, noch kann er aufrichtige Freundschaften schließen. Und sein Verhältnis zu den anderen Bewohnern des Tempels wird immer schwieriger.
Mishima konzentriert sich stark auf das Seelenleben von Mizoguchi und versucht, ein Psychogramm zu zeichnen. Das Buch ist daneben voll von Ästheik – nicht nur Mizoguchis Suche danach, sondern auch ästhetischen Beschreibungen selbst.
Die Szenerie eines Heranwachsenden, gehemmten jungen Mannes vor der Kulisse des alten, im Wandel begriffenen Tempels wirkt höchst exotisch. Manchmal, zugegeben, aber auch etwas pathetisch und dramatisiert:
„Ungeachtet meiner Jugend, spürte ich unter meiner hässlichen, bornierten Stirn, dass die Welt des Todes, in der mein Vater herrschte, und die Welt des Lebens dieses jungen Mannes durch den Krieg als Mittler verbunden waren. Ich stand am Knotenpunkt. Und würde ich fallen, würde es sich letzten Endes als gleichgültig erweisen, welchen der vor mir liegende Wege ich einschlug. […]
Zwielicht trübte meine Jugend. Die Welt der dunklen Schatten machte mir Angst, aber auch ein Leben im hellen Licht des Tages entsprach mir nicht.“ (Der Goldene Pavillon, Kein & Aber 2019, S. 28f.)
Vielleicht ist diese Überdramatisierung und die innere Unausgewogenheit aber einfach ein Symptom von Mizuguchis Erleben der Welt: In nichts findet er Ruhe oder Ausgewogenheit. Aus dem Goldenen Pavillon als Roman spricht so Sehnsucht und zugleich Zurückhaltung, Verklärung, Pathos und Exotik. Gepaart mit der alten Kulisse Kyôtôs und einer gehörigen Portion Ästhetik ist es definitiv eines der Bücher, das vielen, die auf der Suche nach einem „typisch“ japanischen Roman sind, gefallen wird. Auch wenn der Goldene Pavillon letztlich durch seine Handlung und Mishimas Schreibstil alles andere als „typisch“ sein sollte.
Fazit
Ästhetik, das alte Kyoto und eine historisch bedeutsame Kulisse: Ideal, um in einem japanischen Roman zu versinken.Verfasst am 26. Januar 2020 von Friederike Krempin
Tags: Yukio Mishima