Einsamkeit, das abgrundtief Böse, Hoffnungslosigkeit. Fuminori Nakamuras Romane sind düster und spannend. Mit Der Dieb veröffentlich Diogenes nun erstmals auch ein Buch von Nakamura auf Deutsch – und wählt dabei leider einen eher unspektakulären Titel aus.
Der einsame Taschendieb
Für einen Taschendieb ist Tôkyô ein Paradies. In keiner Stadt gibt es so viele Pendler, in keiner Stadt sonst stehen diese in solcher Zahl dicht gedrängt, dass der namenlose Protagonist nur seine Hand ausstrecken muss, um an die Portemonnaies zu gelangen. Manchmal findet er sogar Portemonnaies in seiner Jacke, an die er sich gar nicht mehr erinnern kann.
Aber der namenlose Taschendieb ist eigentlich nur ein kleiner Fisch. Er sucht sich nur wohlhabend scheinende Männer aus dem Menschenstrom heraus. Er nimmt nur das Geld und lässt die Portemonnaies den Opfern wieder zukommen. Er nimmt sich nur das, was er braucht. Warum er das alles macht, welche Ziele und Freuden er sonst im Leben hat, das wird nicht deutlich.
Das Böse übernimmt die Regie
Und so wäre dieser Roman wohl sterbenslangweilig, wenn Nakamura nicht die für ihn typische Karte ziehen würde: Das Böse in Form des Yakuzas Kizaki tritt auf und nimmt den Taschendieb für seine Belange in Beschlag. Der Taschendieb, der vorher so frei und anonym gelebt hat, kann sich dem Bösen nicht mehr entziehen und führt für Kizaki nun Diebstähle aus, die mit seinen harmlosen Tricks beim Portomonnaie-Diebstahl nicht mehr viel zu tun haben.
Die düstere, ausweglose Stimmung zieht sich durch alle Romane Nakamuras, die bisher auf Englisch veröffentlicht wurden. Für alle, die bisher noch nichts von ihm gelesen haben, ist Der Dieb sicher faszinierend geschrieben: Nakamura nutzt eine knappe Wortwahl, lässt den Dieb geschickte Tricks ausführen und baut langsam eine bedrohliche, unheilvolle Atmosphäre auf. Wer allerdings schon Bücher wie Evil and the Mask gelesen hat, weiß, dass Nakamura dies noch kunstvoller kann, dass die Bedrohung in Der Dieb nur zum Warmwerden ist. Und so lässt sich hoffen, dass Nakamura mit seinem Deutschland-Debut so gut ankommt, dass noch weitere Romane von ihm übersetzt werden.
Fazit
Ein moderner japanischer Meisterdieb, einsam im anonymen Tokyo. Brillant erzählt!Verfasst am 26. September 2015 von Friederike Krempin
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert am 6. Mai 2019