Große Naturkatastrophen halten uns immer wieder vor Augen, wie machtlos wir sind und wie vergänglich das Leben ist. Der Mönch Kamo no Chomei hat im 12. Jahrhundert ein gewaltiges Erdbeben in Japan miterlebt und berichtet über die Katastrophe und die Schlüsse, die er daraus für seine Lebensphilosophie zieht.
Auf den ersten Blick scheint der Lebensbericht des Mönches, der 1212 verfasst wurde, lediglich aus Schilderungen von Naturkatastrophen, politischen Wirren und gesellschaftlichem Verfall zu bestehen. Kamo no Chômeis Schlussfolgerung aus diesen Ereignissen, die Vergänglichkeit und Verfall wiederspiegeln, ist der Rückzug aus dem Leben in die Einsiedelei und die Entsagung von allen weltlichen Dingen.
Vergänglichkeit ist ein Motiv, das in der japanischen Literatur vielfach eine große Rolle spielt. Auch die Entsagung von weltlichen Dingen ist nichts Neues, ist sie doch für den Buddhismus ein Weg, um zur Erleuchtung zu gelangen. Kamo no Chômeis Bericht besteht aus lediglich 50 Seiten und lässt sich in gut 20 Minuten lesen. Was macht den Text also nun überhaupt lesenswert?
Das wahre Textpotenzial erschließt sich erst, wenn man sich dem Nachwort des Buches widmet – das mit 50 Seiten noch einmal genauso lang ist wie der eigentliche Text selbst. Es erschließt die verborgenen Textebenen und zeigt interessante Aspekte auf, die den Bericht lesenswert machen: Der Bericht beschreibt die Übergangszeit zwischen der Heian- und Kamakura-Zeit und enthält Politik- und Gesellschaftskritik. Er behandelt außerdem implizit zwei verschiedene buddhistische Richtungen. Eine davon wird sich erst in der Zukunft etablieren können.
Zuletzt ist der Bericht aber auch wegen seinem Autor selbst so interessant. Schaut man sich dessen Biografie an, so wird klar, dass er sich nicht nur aus Idealismus in die Einsiedelei begibt, sondern dass ganz weltliche Motive dahinterstecken: Kamo no Chômei ist enttäuscht, weil er keine gute Stellung am Hof bekommen hat. Kamo no Chômei erläutert seine Prinzipien, ist dabei aber nicht halsstarrig. Seine Zweifel, ob sein Weg der richtige war, werden zum Schluss deutlich und genau das macht seine Denkweise so sympathisch.
Das Nachwort des Buches wurde übrigens anlässlich des Bebens von Kôbe verfasst. Es ist genau auf die heutige Situation übertragbar, was wohl auch ein Grund dafür ist, dass der Insel Verlag gerade jetzt, nach dem Beben 2011, eine Neuauflage dieses in Deutschland erstmals 1997 erschienenen Klassikers herausgebracht hat.
Fazit
Ein eher kurzer Lesegenuss, der dank des umfangreichen Nachwortes aber einen Zugang zum alten Japan möglich macht.Verfasst am 1. Juli 2011 von Friederike Krempin
Tags: Erdbeben, Katastrophen, Vergänglichkeit