Die Heian-Zeit gilt als eine Blütezeit japanischer Kultur. Am Hof in Heian, dem späteren Kyôtô, hat sich eine ästhetisch hoch verfeinerte höfische Kultur entwickelt. Der Roman bietet ein eindrucksvolles Bild dieser Zeit.
Ein hoher Würdenträger am Hof bekommt zwei Kinder von zwei verschiedenen Frauen, ein Mädchen und einen Jungen. Beide Kinder sind schön und zeigen ein makelloses Verhalten, nur leider genau entgegengesetzt ihrem Geschlecht. Und so wird das Mädchen schließlich zu einem Mann, der ein hohes Amt am Hof besetzt, während der Junge als Kammerzofe in die kaiserlichen Frauengemächer einzieht.
Schließlich deckt ein Verehrer der vermeintlichen Frau, Tsukikusa, das Geheimnis der beiden Geschwister auf, verliebt sich in den „Mann“ und schwängert ihn. Da Tsukikusa aber sehr wankelmütig ist, können sich die Geschwister ihres Geheimnisses nicht sicher sein. Zudem verlangt Tsukikusa vom „Mann“, dass er wieder zur Frau wird und sich ihm unterordnet. Ein wenig erinnert die – zwischendurch auch mal etwas verworrene – Figurenkonstellation an eine moderne Seifenoper. Und so durchgehend spannend ist der Roman auch, denn es treten immer wieder neue Probleme auf.
Auch wenn die Sprache nicht ganz aktuell wirkt und die Geschichte sich in einer etwas anderen Dynamik entfaltet, als man es gewohnt ist, enthält das Buch so zugleich viele vertraute Elemente, die es zugänglich machen. Reizvoll ist es aber nicht nur durch das fast schon modern anmutende Motiv der vertauschten Geschwister und der Frage danach, ob eine Frau nicht auch das kann, was ein Mann leistet und andersherum, sondern auch wegen der vielen historischen Informationen über die höfische Kultur der Heian-Zeit.
Wer Sei Shonagons Kopfkissenbuch gelesen hat, wird vieles wiedererkennen, wer bisher noch nichts über die Heian-Zeit gelesen hat, wird fasziniert sein: Die Heian-Welt verhält sich konträr zu dem, was vor allem vom historischen Japan der Edo-Zeit bekannt ist – die harte Schule des Bushido und der Ehrenkodex der Samurai, die unumwindliche Treue zum Herrscher und die Abwertung der Frau. In der Heian-Zeit ist es kein Nachteil, eine Tochter zu bekommen. Sympathisch ist, wer eine schöne Handschrift hat, ein Instrument spielen und gut dichten kann. Männer schreiben ihren Angebeteten, die sie nie zuvor gesehen haben Briefe, in denen sie beteuern, dass sie unsterblich verliebt sind. Schon sanft gewählte Worte können sie zu Tränen rühren und so weinen die Figuren im Roman oft aus Rührung.
Fazit
Abtauchen in ein historisches Japan, fern von Samurai und Kriegerehre. Obwohl dieser Roman fast 800 Jahre alt ist, fasziniert seine Geschichte von Liebe und Leid immer noch!Verfasst am 15. September 2011 von Friederike Krempin
Tags: Heian-Zeit, höfische Literatur, Japanische Bibliothek im Insel Verlag, Liebe, Transvestit