83 Tage. Der langsame Strahlentod des Atomarbeiters Hisashi Ouchi

83 Tage. Der langsame Strahlentod des Atomarbeiters Hisashi Ouchi



Redline Verlag
190 Seiten
ISBN: 978-3868813159

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Geschickt vermarktet ist dieses Buch, das muss man zugeben. So erscheinen die Aufzeichnungen über einen Unfall im Jahr 1999 in einer Kernbrennstofferzeugungsanlage in Japan erst jetzt auf Deutsch. Dafür wird aber schon durch das Titelbild gleich eine Verbindung zu Fukushima hergestellt, obwohl beide Unfälle nichts miteinander zu tun haben.

In gewisser Weise gibt es aber doch einen Zusammenhang zwischen den Unfällen: Der Unfall 1999 ereignete sich, weil nicht genug auf die Sicherheit der Arbeiter geachtet wurde, zur schnelleren Produktion Vorschriften einfach umgangen wurden. Nach dem Unfall in Fukushima wurde deutlich, dass TEPCO generell sehr wenig für die Sicherheit getan hat, unter anderem auch Warnungen bezüglich eines stärkeren Tsunamis ignoriert hat. Ein weiterer Zusammenhang besteht auch in der Machtlosigkeit gegenüber den Folgen eines solchen Unfalls: Ouchi und zwei weitere Kollegen wurden tödlich verstrahlt – die Folgen von Fukushima dagegen sind noch nicht abzusehen.

Hisashi Ouchis Schäden unterscheiden sich allerdings von denen, die wahrscheinlich nach Fukushima auftreten werden: Er wurde nicht mit radioaktiven Partikeln kontaminiert, das heißt, innerhalb seines Körpers haben sich keine gefährliche Stoffe abgesetzt, sondern er wurde kurzzeitig einer enormen Strahlendosis ausgesetzt, die so stark war, dass sie die Regenerationsfähigkeit seiner Zellen vollkommen zerstört hat.

Ouchis Symptome sind damit eher mit denen der Opfer der Atombombe zu vergleichen. Innerhalb der Geschichte der „friedlichen“ Nutzung der Kernenergie ist er aber einer von nur wenigen solcher Opfer. Sein Fall wird außerdem dadurch besonders, dass bisher niemand unter einer so hohen Strahlendosis so lange überlebt hat. Zweifelsohne wird er damit auch für die Wissenschaft und die Ärzte interessant.

Von Anfang an geben die Ärzte ihm keine Überlebenschance, versuchen ihn aber trotzdem so lange wie möglich am Leben zu halten, auch wenn er nur noch an Maschinen angeschlossen ist, nicht mehr sprechen kann und sein gesamter Körper in Verbände gewickelt ist, weil sich die Haut abschält. Das eigentlich grausame ist aber weniger der Leidensweg und die Symptome, die recht nüchtern beschrieben werden, sondern die Behandlung der Ärzte. Obwohl sie von Anfang an wissen, dass Ouchi nicht überleben kann, verzögern sie seinen Tod so lange wie möglich. Es ist auch eine ethische Frage, die sich hier stellt, wenn das Leben eines Menschen verlängert wird, der nicht mehr reden, ohne Maschinen selbst atmen und essen kann.

Das Wort „Tagebuch“, auf dem Buchrücken, suggeriert, die Ereignisse würden auch aus der Perspektive von Ouchi geschildert. Jedoch gibt es keinen Einblick in Ouchis Inneres und auch nur wenig von ihm selbst zu hören – ab Tag 11 kann er nicht mehr reden und später verliert er selbst das Bewusstsein. Die Frage, wie sehr er unter den Maßnahmen gelitten hat und ob sie aus seiner Sicht rechtens waren, kann also nicht beantwortet werden. Das ist das eigentlich frustrierende an dem Bericht und die eigentlich große Frage, die das Buch aufwirft.

Der NHK-Wissenschaftsredakteur Hiroshi Iwatomo hat diese Ereignisse in einer Fernsehreportage dokumentiert und nachträglich ein Buch daraus gemacht. Das merkt man dem Buch an, denn erzähltechnisch ist es keine Meisterleistung. Wie in einem Film wechselt es szenisch sprunghaft wie in einem Film zwischen Ereignissen und Äußerungen einzelner Beteiligter. Iwamoto erklärt immer wieder genau, was medizinisch im Körper von Ouchi passiert – einige Bilder im Buch illustrieren das auch. Auch wenn er möglichst wenig Fachvokabular benutzt oder dieses erklärt, war nicht immer alles ganz verständlich. Aber das muss es auch nicht sein, um Ouchis Leiden nachzuvollziehen.

Fazit

Die Folgen schwerer Verstahlung für den Körper dokumentiert das Buch genau.

Verfasst am 1. September 2011 von

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