Seit über einem Monat bin ich nun schon dabei, den neuesten Roman von Murakami im japanischen Original zu lesen. Mein Eindruck bis Seite 100 ist der, dass der Roman eine neue Version von Südlich der Grenze, westlich der Sonne ist.
Achtung: Der Artikel enthält massive Spoiler. Wer sich die Spannung nicht nehmen will, sollte diesen Artikel nicht lesen!
Tsukuru Tazaki trägt einen Komplex in sich: fast alle Menschen, die ihm begegnen, haben in ihren Namen Farben als Bestandteile, nur Tsukurus Name bleibt „farblos“. Zu Beginn seines Studiums macht er die Erfahrung, von seinen Freunden ohne die Nennung eines Grundes aus der Clique ausgeschlossen zu werden – sie alle haben wieder Farbennamen. Er hatte sich von anfang an bei ihnen nie sicher gefühlt, da er als einziger keinen „Farbnanmen hatte“. Seit dieser Erfahrung schottet sich Tsukuru ab und lebt alleine – bis er wieder auf einen Mann mit einer Farbe im Namen trifft.
Eine ähnliche Thematik kennen wir auch aus Südlich der Grenze, westlich der Sonne. Auch der Protagonist Hajime hat einen Komplex, der ihm schon seit der Grundschulzeit das Gefühl gibt, nicht dazuzugehören: Er fühlt sich als einziges Einzelkind anders als alle anderen.
Die Parallele wird vielleicht auch so deutlich, weil beide Romane diese Thematik ähnlich entwickeln: Aus einer zukünftigen Perspektive wird die Lebens- und Entwicklungsgeschichte des Protagonisten von hinten aufgerollt.
Colorless Tsukuru Tazaki and his Years of Pilgrimage macht das aber deutlich geschickter: es gibt verschiedene Zeitebenen und eine verschachtelte Erzählung in Form von Geschichten in Geschichten, wie wir sie auch schon von Mister Aufziehvogel kennen.
Colorless Tsukuru Tazaki verzichtet dagegen auf etwas anderes: Während bei Südlich der Grenze, westlich der Sonne von Anfang an ein gewisser Fatalismus durchscheint, während immer wieder angedeutet wird, dass Hajime sein Handlungsmuster nicht ändern kann und sich so immer wieder in dieselben Problemlagen bringt, ist Colorless Tsukuru Tazaki offen. Worauf er hinausläuft, ist auf den ersten 100 Seiten noch nicht absehbar. Der Roman nimmt gerade erst an Fahrt auf. Und hat so auch noch die Möglichkeit, sich doch von Südlich der Grenze, westlich der Sonne abzuheben und einen anderen Weg zu gehen.