Die Sicht der Dinge

Die Sicht der Dinge



Originalausgabe:
父の暦 Shogakukan 1995

Aus dem Japanischen von Josef Shanel und Matthias Wissnet:
Carlsen
288 Seiten
ISBN: 978-3551777317

Seit 15 Jahren hat Yoichi seinen Vater in Tottori nicht mehr besucht, obwohl seine Heimatstadt nur zwei Flugstunden von Tokyo entfernt ist. Nun ist der Vater plötzlich vestorben. Als Yoichi in Tottori ankommt, wird er wieder Erwarten von seinen Verwandten herzlich aufgenommen. Die vertrauten Menschen und Orte bringen Yoichi dazu, sich mit der Vergangenheit und seinem Verhältnis zu seinem Vater auseinanderzusetzen.

Eigentlich ist sich Yoichi selbst so gar nicht richtig klar darüber, warum er einen Groll gegen seinen Vater hegt. Oberflächlich ist es ihm natürlich klar: Der Grund dafür liegt in seiner Kindheit und der Trennung seiner Eltern, an der er seinem Vater die Schuld gibt. Und irgendwie fühlt er auch intuitiv, dass diese mit dem großen Feuer zu tun haben muss, dass 1952 das ganze Stadtzentrum zerstört hatte.

Im Grunde aber weiß Yoichi so gut wie gar nichts über seine Eltern. Erst auf der Trauerfeier erzählen ihm seine Verwandten Geschichten und – verknüpft mit seinen eigenen Kindheitserinnerungen – setzt er seine Vergangenheit wie ein Puzzle wieder zusammen.

Die Sicht der Dinge unterscheidet sich deutlich von anderen japanischen Comics („Mangas“) durch seine ruhige Erzählart und die ernsten Themen. Yoichi muss nicht nur mit dem Verlust umgehen, sondern lernt auch, andere Perspektiven einzunehmen. Die Realisierung der Geschichte als Graphic Novel passt auch inhaltlich sehr gut zum Buch, da Yoichis Rückblenden alle sehr bildhaft sind – wie sollte man diese besser illustrieren als mit einem Comic.

Taniguchis Zeichenstil ist sehr filigran und realistisch. Er legt wert darauf, neben genau gezeichneten Figuren auch die Hintergründe detailreich zu gestalten. Durch einen hohen Anteil an Landschaftsbildern und Darstellungen der Stadt lässt das Buch ein Gefühl davon aufkommen, wirklich in einer japanischen Stadt der 50er Jahre zu sein.

Manchmal kommt die Einsicht zur Aussöhnung zu spät. Doch manchmal macht auch gerade erst ein Ereignis wie der Tod die Auseinandersetzung möglich. So ist Taniguchis Geschichte traurig, zugleich aber auch heilsam, denn sie vermittelt: „Wir kehren nicht in unsere Heimat zurück … sondern die Heimat kehrt eines Tages in unsere Herzen zurück.“ (S. 278)

Fazit

Warum immer nur Bücher lesen? Dieser "Comic" ist mit seiner ernsthaften, ruhigen Geschichte geistreicher als so manche Bücher!

Verfasst am 3. Juli 2011 von

Tags: , , , ,

Weitere Bücher von Jiro Taniguchi

Träume von Glück
2008 Träume von Glück 犬を飼う
Vertraute Fremde
2007 Vertraute Fremde 遥かな町へ
Alle 6 Bücher

Artikel im Blog

Zufällig ausgewählt: In Büchern stöbern

ランダムに選択しました

Schwarzer Regen
Geschichte für einen Augenblick
Nächte mit Spoon
Das Kopfkissenbuch einer Hofdame
Naomi
Die Farbe von Winterkirschen

Die neuesten Rezensionen

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer
Die Stadt und ihre ungewisse Mauer 12. Januar 2024
Bevor sich unsere Wege trennen
Bevor sich unsere Wege trennen
Butter
Butter 18. November 2023
Mord auf der Insel Gokumon: Kriminalroman
Mord auf der Insel Gokumon: Kriminalroman 28. August 2023
All die Liebenden der Nacht
All die Liebenden der Nacht 14. Juni 2023
3000 Yen fürs Glück
3000 Yen fürs Glück 1. Mai 2023
Literatur direkt aus Japan Literatur direkt aus Japan

Hier erfährst du mehr über Bücher, die es bisher nur in Japan gibt.

Bücher kaufen Wo kann ich japanische Bücher kaufen?

Ein kleiner Guide für Einsteiger

Zeitstrahl Zeitleiste

Suche dir Bücher aus nach der Zeit, in der sie spielen.

Neuerscheinungen Neuerscheinungen

Alle Neuerscheinungen für im Überblick.